Der schmale Grat zwischen Netzwerk und Nervkrieg
Als Sexarbeiterin arbeitet man zumeist selbständig, ist eigenverantwortlich und autark. Das übt große Attraktivität auf mich aus, denn ich würde meine Handlungsfähigkeit und meine Freiheit als das höchste Gut in meinem Leben beschreiben. Engen mich Dinge oder Umstände ein, überlege ich sehr genau, ob es mir das wert ist, mich einschränken zu lassen. Ich mag es nicht, gegängelt zu werden, Intrigen sind mir zuwider und diese wohlmeinende Pseudofreundlichkeit à la „ich gebe Dir mal einen guten Rat“ verbuche ich in den allermeisten Fällen und zu Recht unter einem sehr grundsätzlichen Zitat: Ratschläge sind auch Schläge!
Dennoch genieße ich Kollegialität, Austausch und Loyalität. In vollen Zügen. Denn es kann sehr inspirierend sein. So kann man in der gemeinsamsten aller Sachen:
der Sexarbeit Respekt und ihre ihr zustehende Akzeptanz zu verleihen
sowie
gegen Stigma und Engstirnigkeit anzugehen
auf mich zählen.
Auf Zickenkrieg und Lotterleben in Studios verzichte ich allerdings gern. Ich bin zum Beispiel nicht dabei, wenn man sich am Abend noch schnell den notwendigen Pegel von was-auch-immer anzüchten muss und dabei über Gäste ablästert. Ich finde es zum Kotzen, wenn ich mitbekomme, wie Kolleg*Innen übereinander herziehen. Hey, wir sind nicht alle beste Freunde, und auch ich habe Vorbehalte oder Bedenken manch einer Gestalt gegenüber, die die SM-Szene dieses Landes so bevölkert. Muss ich das dann vor mit hertragen, wen interessiert das denn? Keine Frage, ich kann es gar nicht vermeiden, mir eine Meinung zu bilden, aber es ist meine und die darf ich behalten. Für mich.
An die Studiobetreiber landauf / landab: Ich bin oft total baff und beeindruckt, was für tolle Orte ihr entstehen lasst, wieviel Herzblut und Kreativität in Eure Räume fließen und was für ein hohes Maß an Organisation ihr vorhaltet, damit Leute bei Euch gern einmieten. Danke dafür. Aber ich bin nicht Euer Punchingball, sondern eine sehr gute Kundin, die auch woanders ihr Geld verdienen kann. Und ich mag es, wenn ich merke, dass das Ambiente gepflegt wird, die Chefetage vorlebt, dass man gut und wertschätzend miteinander umgehen kann, und es die Bereitschaft gibt, Ideen umzusetzen, wie Workshops, Parties, Vereine, politische Arbeit.
Ein gutes Miteinander braucht Toleranz und etwas Engagement von beiden Seiten. Vielleicht gefällt es mir nicht, wenn ich der Kollegin hinterher räumen muss, oder im Chaos des Aufenthaltsraumes meine eigenen Schuhe nicht mehr wiederfinde. Vielleicht stört es sie, dass wenn ich Dirty Games mache, eine gewisse Geruchsentwicklung unausweichlich ist. Toll, wenn wir in solchen Situationen es schaffen, mal drüber hinweg zu sehen, oder das Wort direkt an den- oder diejenige zu richten, oder wertschätzend auf Distanz zu bleiben. Toll ist es auch, wenn wir im Falle eines offenen Worts einen Moment abpassen, in dem es nicht eine Session stört oder jemanden in arge Bedrängnis bringt. Toll auch, wenn ich bevor ich meinen Mund aufsperre mal kurz in Rapport mit mir selbst gehe: bin ich gerade ungehalten oder möchte ich eine Lösung konstruktiv ermöglichen? Man sollte sich zurückhalten, wenn die eigene Laune gerade angefressen ist. Man kann sowas auch mit ein bisschen Distanz klären.
An die Kolleg*Innen: Ich kenne viele tolle Menschen in der Sexarbeit. Manche berühren mich so stark, dass ich sogar einen Gast mit ihnen teile, oder gemeinsame Specials anbiete. Das inspiriert mich ungemein. Es ist die Neugier darauf und das Wissen, dass es aufregende Dynamik geben kann, und es ist der Mut, es zu versuchen, obwohl man ja eigentlich Einzelkämpfer*In ist und bleiben will. Ich brauche für sowas keine Kuschelatmosphäre, sondern eher Vertrauen und gute Kommunikationsstrukturen. Ich werbe keine Gäste ab, nicht bewusst. Wir sind alle so vielfältig, dass es absurd ist, sich gegenseitig zu boykottieren. Ich lerne gern dazu und teile auch gern mein Wissen und meine Erfahrung. Gäste schätzen es sehr, wenn ich jemand empfehle, oder auch mal sage, dass ich eine Praktik nicht anbiete oder mich da zu wenig auskenne.
Die andere Seite ist, dass ich immer wieder die Erfahrung mache, dass in Studios Rücksichtnahme ein absolutes Fremdwort ist. Die Raucher kümmern sich einen Dreck darum, dass es für die Nichtraucher unangenehm bis unaushaltbar ist, wenn nicht gelüftet wird oder in dem Raum auch geschlafen wird. Sage ich, dass es auch andere Arten gibt mit diesem leidigen Thema umzugehen, wird mir eröffnet, dass das nicht stimmt. Überall wo *sie* arbeiten ist das *so*. Ich mag es auch nicht um die Essensreste meiner geschätzten Kollegen herumzuschippern, wenn mein Gast ein Glas zu trinken im Vorgespräch wünscht. Ich beteilige mich gern an Aufgaben, wie Ordnung in gemeinsam genutzten Bereichen einhalten, oder die Waschmaschine mit meiner Dreckswäsche beladen. Handtücher falten, Kloputzen, alles was so anfällt. Mannomann, das alles sollten wir uns doch wert sein. Wie kann ich einen Service anbieten, für die der Gast zwischen 200 und 250€ pro Stunde auf den Tisch legt, und darf mich nicht trauen genauer in die Ecken zu schauen, oder finde keinen Putzlappen mehr, mit dem ich hinter mir saubermachen kann?
Ja, es stimmt, manchmal spuckt man mir verbal in die Suppe, und es entsteht ein furchtbar unangenehmes Klima. Manchmal grassiert hinter dem Vorhang der Session unter Kollegen Verrohung, Verwahrlosung und eine geradezu grenzenlose Vanitas, wie High Class und gebucht sie sind. Wie viele Anrufe in Abwesenheit sie hatten, wie nervig ihr Klingelton scheppern kann, wenn sie im Termin sind, und wie sehr sie sich vor anderen Kolleginnen ekeln, oder kolportieren, ihr Gast hätte ihnen da was gesteckt.
Genug, mein Vorschlag wäre: Psychohygiene an sich selbst üben. Lebe ich nur noch im Studio, oder habe ich auch noch ein Leben sonst? Wie sieht es eigentlich mit meinen Beziehungen zu anderen Menschen aus? Was ist mir wichtig, was freut mich, was inspiriert mich? Sexarbeit ist Arbeit, deswegen funktionieren diese Strategien wie Work-Life-Balance und Abgrenzen auch in unserem Arbeitsalltag.
Und wenn das alles nicht hilft, steht am Ende die Frage: Muss ich mir ein anderes Studio mit andere Bedingungen suchen?
Wir sind alle schon groß – wenn wir nur manchmal an unser eigenes Ego heranwüchsen, und erwachsen mit uns und unserem Umfeld umgehen würden, dann kann ich mich klar PRO Netzwerk und klar KONTRA Nervkrieg entscheiden.