Gemeinsam?

UNIDAS – Konferenz: Frauen im Dialog – Wie „gemeinsam & verbündet“ sind wir?

Oder:
Gemeinsam gegen Spaltung!

 

Vom 23.11. –  28.11. fand die vom Goethe-Institut ausgerichtete Online – Konferenz „UNIDAS – Frauen im Dialog“  mit Teilnehmenden aus Brasilien und Deutschland statt.

In Brasilien und Deutschland haben sich während dieser Tage und trotz der globalen Pandemie Feministinnen zusammengefunden um über Intersektionalität, Gewalt gegen Frauen, Frauenrechte & Gleichstellung sowie Krisenprävention zu diskutieren. Wir durften tolle Keynotes unter anderem von Natasha A. Kelly, Ina Holev & Miriam Yosef sowie Phenix Kühnert hören.

Für dieses großartige Event, was viele neue Kontakte und Netzwerke hat entstehen lassen, möchte ich den Organisator*innen herzlich danken.

Mein Bezug zu Südamerika

Manche wissen, dass mich, Ruby, mit Südamerika eine lange und sehr persönliche Geschichte verbindet.
Zwischen 2005 und 2011 habe ich in Chile gelebt und im Rahmen meiner Arbeit als selbständige Reiseleiterin auch intensiv Argentinien & Brasilien bereist.
Doch es ging nicht nur um schöne Urlaubsbildchen, und um Reiseerinnerungen im Übrigen sehr privilegierter Kund*innen in dieser Zeit. Ich kam in Berührung mit der sehr lebendigen und erschreckend präsenten Diktaturerfahrung und dem Mangel an demokratischen Rechten der Bewohner*innen in Chile, Argentinien & Brasilien.
Beinahe jede*r meine*r Freunde hatte Desaparecid*as zu beklagen, also Menschen, die während der Militärdiktaturen einfach verschwanden, ermordet und gefoltert wurden.
Meine Freund*innen aus der queeren Community konnten nicht offen zu ihren Lebenspartner*innen stehen, und ich erlebte in diesen 6 Jahren allenfalls einen allmählichen Wandel zu mehr Miteinander & Toleranz gegen über sexueller Vielfalt.
Ich nahm an großen Protesten gegen die Pacos (Polizei in Chile) teil, die regelmäßig das Gebäude in dem sich die Wohnung meines damaligen Partners befand mit Tränengas bombardierten, da bekannt war, dass dort Linke wohnten. Ich engagierte mich für Wasserrechte (Patagonia sin represas), denn in Chile hatte Pinochet die Rechte am Wasser privatisiert und an große Energiekonzerne verschachert.
Ich habe erlebt, wie die indigene Bevölkerung in Chile und Argentinien, die Mapuche, konsequent um ihre Bürgerrechte geprellt werden.
Die enorm gespaltene Bevölkerung in Chile, in wenige Superreiche und viele, viele Arme

… und… und… und….

Aus diesem Grunde sagte ich begeistert zu als mich die Einladung erreichte, verband ich zum Beispiel mit dem Goethe-Institut in Santiago de Chile auch viele, angenehme Erinnerungen aus diesen Jahren.

Leider nicht nur Lob

Leider kann ich es nicht bei dieser Lobrede belassen:
Schon in der Eröffnungsrede fielen koloniale Begriffe, und mehrfach wurde die transfeindliche, islamfeindliche und sexarbeitsfeindliche Organisation Terre des femmes e.V. lobend erwähnt. Ebenfalls nahm die Vorsitzende dieser Organisation G. Kosack an einem Tag an der Konferenz teil.
Den Organisator*innen war die Problematik dieser Erwähnungen und Einladung ganz und gar nicht klar, denke ich.

Wie bereits oben erwähnt, wurde dem Thema Intersektionalität großer Stellenwert in der Konferenz beigemessen. Terre des femmes e.V. tritt genau diese zentrale & wichtige Forderung nach einem strukturellen Verständnis von Race, Power & Class mit Füßen, in dem sie marginalisierte Gruppen offen ausschließt und Forderungen aufstellt, wie:

  1. ein Sexkaufverbot
  2.     ein Kopftuchverbot für Minderjährige
  3.     die trans* Personen diskriminierende und wissenschaftlich nicht haltbare Kritik am Gesetzentwurf für das Verbot von Konversionstherapien (unter anderem durch beide Vorsitzenden von TdF)
  4.     eine essentialistische Vorstellung von Geschlecht, wie sie in der Satzung des Vereins und durch die Vorsitzende Inge Bell unmissverständlich geäußert wird und sich auch in der Ablehnung von geschlechtergerechter Sprache manifestiert.

Dies ist ein Zitat, aus dem Statement  dass knapp 30 Feministinnen formulierten und unterzeichneten, um gegen diese Verquickung von exkludierenden Schein-Feministinnen und solidarischem Feminismus, der sich auf Rassismus, Klassismus und Machstrukturen hin untersucht, zu protestieren.

Was ist passiert?

Wir informierten natürlich die Organisator*innen über unsere Kritik. Zunächst gab es Grund zur Annahme, dass darüber reflektiert und nachgedacht wurde. Gleichzeitig waren durch die Einladung an Tdf, Verletzungen, Irritationen und Kontroversen vorprogrammiert und unvermeidbar. So saß ich beispielsweise am Freitag in einem Workshop mit G. Kosack über Digitale Gewalt.
Was für eine Ironie, überziehen doch Mainstream-Feministinnen seit jeher die Zielgruppe Trans, Sexwork und viele andere mehr mit digitaler Hetze, Troll-Armeen und jeder Menge stupidem Hass auf den sozialen Medien.
Erst dachte ich, ich kann das aushalten, mit dieser Person zu diesem Thema in einem Raum zu sein, aber nach und nach kippte das. Ich hatte das Gefühl nicht offen sprechen zu können, denn mir war unklar, wer im Raum eventuell die Partei von der TdF-Frau ergreifen würde. Ich befürchtete, dass es zur klassischen Täter-Opfer-Umkehr kommen würde, dass, wenn ich zu deutlich und nachdrücklich protestieren würde, eventuell ermahnt oder gar als Täterin hingestellt würde. Ich befürchtete tone-policing, dass leider in einigen akademischen und bürgerlichen Kreisen in Deutschland sehr verbreitet ist, um Outcalls und strikte Abgrenzung gegenüber rechts-offenen Positionen zu verhindern.

Außerdem befürchtete ich, dass die Diskussion im Anschluss von der Tdf-Person gekapert würde, und sie so ein Forum für ihren Hass erhielte. Verlassen wollte ich den Raum aber auch nicht, denn das hätte bedeutet, Raum zu konzedieren und sich abdrängen zu lassen.
Ein Dilemma! Wirklich aufgewühlt hatte ich keine Ansprechpartner*in, obwohl ich die Moderatorin im Vorhinein darauf hingewiesen hatte. Keine Person fragte, ob es ok oder aushaltbar oder wie es gewesen war. Ich fühlte mich nur schrecklich erleichtert, als es vorbei war und danke allen Teilnehmenden, die im Workshop solidarisch mit mir waren.

Am letzten Abend spitzte sich die Situation noch einmal zu. Es sollte ein Q+A mit Sibel Kekilli geben, deren Namen zuvor mehrfach im Zusammenhang mit Tdf gefallen war. Im Hintergrund feilten wir an den letzten Feinheiten am Statement, um es dann online zu stellen, wenn der Moment dafür gekommen war.
Der Beitrag von Sibel Kekilli triefte nur so vor Paternalismus, Retter*innentum und mangelnden Bewusstsein für Intersektionalität.
Natürlich ist ein Engagement begrüßenswert, das dazu führt, dass es heute ein Frauenhaus in Salvador gibt. Noch begrüßenswerter wäre es aber, beim eigenen Engagement auf Dekolonialisierung, Anti-Rassismus und Einbezug von marginalisierten Gruppen zu achten. Groß wäre es gewesen, zuzugeben, dass sich solche Überlegungen bisher der Kenntnis von Sibel Kekilli entzogen, sie aber nun dafür sensibilisiert sei.

Das ist alles nicht passiert.

Stattdessen wurde die Debatte genau an der Stelle, als Asal Dardan und ich unsere kritischen Nachfragen zu Tdf stellten, abgebrochen.
Zuvor hatte eine brasilianische Teilnehmende bereits Frau Kekilli nach der Gesetzeslage zu Sexarbeit in Deutschland gefragt. Statt Frau Kekilli antwortete der Institutsleiter patronisierend und abwehrend: „So“ eine Frage könne Sibel Kekilli sicher nicht beantworten. Mein Hinweis aus dem Chat, dass ich das aber könne, wurde geflissentlich ignoriert.

Kurz danach ging die Debatte offline und ich wurde im Backend Zeugin, wie Mitarbeitende von UNIDAS jubelten und sich dazu applaudierten, wie geschickt der Institutsleiter DAS mit Tdf gelöst habe. Das war für mich der ultimative Moment von Schock, Wut und Beschämung.

UNIDAS erklärte dann, das Thema könnte in der Abschlussrunde angesprochen werden.
Dort wurde dann ohne weitere Einführung oder Kontextualisierung seitens UNIDAS eine Teilnehmerin aus Brasilien für meine Wortmeldung unterbrochen. Es war sehr unprofessionell und traurig. Ich habe dennoch die Gelegenheit ergriffen, um zumindest etwas beizutragen, das unsere Debatte nachvollziehbarer für die brasilianischen Teilnehmenden und die Zuschauer*innen machen sollte. Die Vortragenden Dr. Michaela Dudley und Pauline Brünger trugen ebenfalls dazu bei.

Alles in allem bin ich sehr enttäuscht über den Eklat und die mangelnde Moderation seitens UNIDAS. Ich bin enttäuscht davon, wie unprofessionell ein Konflikt, der bereits 3 Tage bekannt war, unterdrückt und von der Vorzeigeberühmtheit Sibel Kekilli fern gehalten wurde. Persönlich schmerzt mich das Shaming als Sexarbeiterin, deren Situation anscheinend derartig Randgeschehen ist, dass nicht einmal die Frage danach beantwortet werden kann. Mich macht es traurig, wie unsensibel mit der Kontroverse und unserer Positionierung zu Tdf auch gegenüber den brasilianischen Teilnehmenden umgegangen wurde. Ich wollte keine Person unterbrechen oder meine politischen Inhalte über eine gemeinsame Sache stellen, doch UNIDAS hat genau diesen Eindruck erweckt durch Tatenlosigkeit und Passivität.

Kein Einzelfall, leider!

Insbesondere ist es wichtig, die strukturellen Dimensionen dieser Vorfälle zu begreifen und daraus zu lernen. Es ist seit Joko & Klaas, Alice Schwarzers Hasstiraden und der unterirdischen und unkritischen Anti-Sexarbeitstirade einer chauvinistischen deutschen Hiphopkombo leider ein Dauerbrenner in Deutschland, dass rechtsoffene Privilegiertenpolitik mit Feminismus verwechselt wird.
Deswegen ist es auch kein Versehen, bedauernswerter Umstand oder lediglich unhöflich, was die Organisation UNIDAS tat oder geschehen ließ, sondern strukturelle Ignoranz, Silencing und zudem noch offen doppelköpfig, wenn einerseits Keynotes zu Intersektionalität gehalten werden und andererseits dann Marginalisierung geduldet, gefördert und dadurch normalisiert wird.

Den Unterzeichner*innen des Statements möchte ich danken und hoffe, dass möglichst viele Menschen durch unsere Abgrenzung gegenüber Tdf dafür sensibilisiert werden, was intersektionaler Feminismus wirklich ist.

 

#WhattheFika?!

#WhatTheFika:
Was wurde beim Treffen mit dem schwedischen Sonderbotschafter gegen Menschenhandel und für Sexkaufverbot am 29.9.20 gesagt?

Der Ton beim Empfang und in der Diskussion war zunächst äußerst vorsichtig. Wie schon gesagt, der Sonderbotschafter, der Botschafter, drei Vertreterinnen von pinkdoor berlin und zwei Sexarbeiterinnen kamen zusammen. Im Anschluss traf noch @mercede24748741 vom Berufsverband zu einer Fortsetzung des Treffens in kleinerer Runde ein.

Der Termin startete mit einer Erläuterung vom Sonderbotschafter, wo er eine kurze Geschichte des Sexkaufverbot -aus seiner Sicht- in Schweden lieferte. Da habe ich bereits Atemübungen gemacht, denn die Hybris und das #entitlement mit der sogenannte Fakten und Wahrheiten verkündet werden ist beachtlich. Wir wissen alle, dass es keine belastbaren Zahlen gibt, diese Personen bilden da eine Ausnahme. (Ironie off)

Eine Person von Pink Door hat dann gleich mal die Frage nach der Instrumentalisierung des Sexkaufverbot zur Kontrolle von Migration zu gestellt. Guter Auftakt! Eine sehr wichtige und zentrale Frage. Die Antwort des Sonderbotschafters führt nirgendwo hin, außer der Erklärung guter Absichten kommt da wenig. Die Debatte erinnert an die aktuelle um #RassistischePolizeigewalt und rechte Strukturen in der Polizei, wo Politiker:innen tunlichst vermeiden, ein strukturelles Problem zu benennen.

Dann kam ein sehr interessanter Abschnitt: Der Sonderbotschafter warf die Frage von Freiwilligkeit auf. Wie könne es denn gewiss entschieden werden, dass die Entscheidung für #Sexarbeit ganz und gar auf freiwilliger Basis gefallen sei? Also haben wir über #Arbeit im #Kapitalismus diskutiert. Er sollte mal unseren @Whoroscope_Eu- Podcast dazu hören:http://whoroscope.eu/2020/01/27/whoroscope/

Die Frage stellt sich, wie es denn mit Freiwilligkeit in anderen Branchen so bestellt ist? Landwirtschaft, Fleischproduktion, Pflege…?
Dann kamen wir auf die Erfahrung von #Sexarbeit|er:innen in der Coronakrise in Deutschland zu sprechen. Wie sich Illegalisierung auswirkt, wie Zugänge zu marginalisierten Personen systematisch verhindert werden und wie aus der Grauzone des ProstSchG sehr bald ein finsteres Setting wurde, wo #Polizeigewalt und Elend zunahmen.  Wie Ausstiegsprogramme nichts für Menschen ohne Aufenthaltsstatus tun, und #HartzIV kein Anreiz ist für z.T. hochorganisierte Sexarbeitende, aber auch nicht für Menschen, die aus Armut oder wegen Beschaffung der #Sexarbeit nachgehen.

Immer wieder kommen wir an diesen Moment, wo es keinen common ground gibt, geben kann und geben darf. Wo wir Zahlen und postulierte Wahrheiten in Frage stellen und fordern, dass endlich geforscht werden muss. Wo ich nur schemenhaft erahnen kann, welcher strukturellen Gewalt schwedische Kolleg:innen jeden verdammten Tag ausgesetzt sind.

Interessant auch, wie mit der Frage nach der einhellig ablehnenden Meinung von Menschenrechtsorganisationen zum Sexkaufverbot umgegangen wird. @amnesty hat einfach Unrecht und die anderen auch. „Ich erkläre Dir die Welt, wie sie mir gefällt“-vom Feinsten. Natürlich wurde auch die Frage nach dem alten, weißen Mann gestellt, der einer diversen Community mansplained , was richtig und was falsch ist.

Erinnerungswürdig sind all die Momente in denen meine schwedische Kollegin Dinge richtig stellen konnte. Der Moment als der Sonderbotschafter zugeben muss, dass er den Community Report von Fuckförbundet nicht kennt und er ihn ausgehändigt bekommt.

https://www.nswp.org/resource/member-publications/twenty-years-failing-sex-workers-fuckforbundet-impact-1999-swedish-sex-purchase-act

Die gebetsmühlenartigen Versuche uns als starke Personen und Ausnahmen zu framen und trotzdem wahrzunehmen, dass das, was wir zu sagen haben, sich nicht vom Tisch wischen lässt. Manches konnten wir aufdecken.

Wir haben darüber gesprochen, dass die Sozialwissenschaften und die Psychologie bessere Methoden kennt, als das Retter:innen-Opfer-Täter:innen-Schema und dass es #WhatTheFika Zeit wird, mal im 21. Jahrhundert anzukommen.

Nett war auch, dass der Sonderbotschafter selbst auf den Exportschlager Sexkaufverbot zu sprechen kam. Er musste konzedieren, dass die Bedingungen in Südafrika und Deutschland doch stark von Schweden abweichen.

Leute, ich bin übrigens nicht der irrigen Annahme, in dieser Diskussion etwas „bewirken“ zu können. Es ist mir dennoch wichtig, solche Momente selbst gestalten zu können und deutlich zu machen, dass wir solidarisch mit den schwedischen Kolleg:innen sind UND gegen ein Sexkaufverbot egal wo kämpfen. Das wir es nicht zulassen, dass sich die Antis Begriffe wie #Entkriminalisierung oder #Menschenrechte einfach so aneignen. Dass wir uns nicht pathologisieren lassen.

Bemerkenswert war auch, dass der Sonderbotschafter auf #hatespeech zu sprechen kam. Ein gutes Stichwort um über Diskreditierung und Diffamierung, mit der die #Hurenbewegung von Vertreter:innen eines Sexkaufverbot überzogen wird sowie über #Rassismus und #Transphobie in diesem Zusammenhang mit Verweis auf die „Konferenz“ in Bonn zu sprechen.

Dazu passend hat Sibel Schick kürzlich veröffentlicht:

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1142498.terre-des-femmes-in-die-rechte-ecke.html

Nach insgesamt 3h trennten sich alle wieder, keine Geheimnisse oder Strategien wurden ausgeplaudert, niemand wurde überzeugt, und das war auch nicht Sinn und Zweck der Angelegenheit.
Was nehme ich mit? Es ist sehr wichtig, dass wir lauter über #Menschenrechte sprechen. Netzwerken und sich auf solche Termine vorbereiten, wäre sicher auch ein kluger Schachzug.
Die Erzählungen systematisch dekonstruieren, die sich wiederholen, so wie das hier Theo Meow tut :

https://medium.com/@theomeow/so-freiwillig-ist-sexarbeit-wirklich-ca668df97b4

Auch der Winkelzug über die Opfer von Zwangsprostitution ist nicht recht aufgegangen. Aber da gilt es für unsere #Hurenbewegung aufmerksam zu sein, und nicht auf die happyhooker-Falle reinzupurzeln. Auch diesen Diskurs müssen wir uns stärker zu eigen machen. Wir sollten uns nicht auf die von den Antis gesetzten Themen festlegen lassen, sondern selbst Themen setzen. In diesem Sinne: #WhatTheFika!

Sexarbeit & Behinderung

Sexworkerin mit Behinderung
Sexarbeit als Lohnarbeit zwischen Empowerment & Selbstausbeutung

Dieser Beitrag wurde zunächst auf der Seite sexabled.de veröffentlich. Dies ist eine tolle Seite, die Ihr dringend kennen lernen solltet…

Als ich Christians Seite gefunden habe, war ich sehr angetan von der fundierten Art, mit der sich eins hier einem komplexen Thema, wie beispielsweise dem Sexkaufverbot annimmt. Und mir war sofort klar, dass ich in diesem Kontext gern einen Gastbeitrag schreibe und dabei auch an mein Eingemachtes rühre.

Aus Angst vor positiver Diskriminierung, aber auch aus Sorge, dass die Anti-Front das Thema Behinderung aufgreift und für ihre Zwecke nutzt. Mich versuchen könnte zu entmündigen. Seit noch gar nicht so langer Zeit habe ich mich aber entschieden, dass ich trotzdem auch über die schwierigen und komplizierte Seite meiner Sexarbeit sprechen möchte und eben nicht den Mantel des Schweigens darüber breiten will.

Meine Behinderung ist nicht sichtbar. Ich musste Anfang 30 werden, bis ich endlich auf die Spur dessen kam, was mich gefühlsmäßig lange von sozialer Interaktion abgehalten hatte. In Schule und Studium war ich Außenseiterin, Einzelgängerin und konnte nur schwer nachvollziehen, wieso mich Gruppen, Cliquen und Teamarbeit über Gebühr anstrengte. In dieser Zeit kam das Thema Hochsensibilität als Modediagnose auf. Ich liebäugelte eine Zeit damit, ließ es aber bald wieder fallen, es war mir zu schwammig formuliert und in manchen Kontexten war ich gar nicht sensibel, sondern äußerst fehleranfällig. Durch die Bekanntschaft mit einer männlichen Person im Autismus-Spektrum erlebte ich: Krass, vieles kommt mir so bekannt vor. Interessanterweise fiel das in genau die gleiche Zeitspanne, in der ich mit Sexwork begann.

Wie alles begann

Für BDSM hatte ich mich immer schon interessiert. Und ich hatte keine Berührungsängste mit fremden Körpern, oder damit, über Sexuelles und Intimes zu sprechen.

Ich war ein paar Jahre durch die Südhalbkugel getingelt, um mich zu emanzipieren, von meinem Umfeld und meiner Familie und als ich nach Deutschland zurückkehrte, meldete das BAFöG-Amt an, dass ich meine Studienschulden langsam, aber sicher zurückzahlen musste. Mit meinem damaligen Job als Teamleitung eines Reiterhofes verdiente ich damals noch unter heutigem Mindestlohn und realisierte, SO wird das nicht gehen. Mein Arbeitspensum lag aber bereits zwischen 50 und 60 Wochenstunden, bei 42 Sollstunden. Tiere haben oft Bedürfnisse, die sich nicht an die Uhrzeiten halten. So kam ich auf die Idee, Sexwork könne meine Geldsorgen relativ schnell und angenehm regulieren. Meine Sexualität war immer ein bisschen absurd, queer und voller BDSM-Elemente, daher suchte ich mir in diesem Bereich eine Tätigkeit als Escort-Lady.

2015 wurde ich Opfer eines Zwangsoutings, das ich hier aber nur am Rande thematisieren möchte. Ich erlitt einen BurnOut und erlebte erstmals, dass meine „Diagnose“ im Autismus-Spektrum nicht nur Vorteile brachte, wie ich es bisher eingestuft hatte, sondern auch Herausforderungen. Zum Beispiel lehnten mich 5 Therapeut*innen nacheinander ab, weil ich offen über mein Asperger Syndrom sprach. Ich durchlitt eine ausgeprägte depressive Episode, bedingt durch den Verlust meines Arbeitsplatzes nach dem Zwangsouting, die ich durch Masturbation und intensive BDSM-Erlebnisse (privat & Sexwork) in Schach hielt. Mittlerweile arbeitete ich in BDSM-Studios. Die Bestätigung meiner Kunden (damals waren es wirklich ausschließlich Männer) war sehr wohltuend für mich, nach der ganzen Abwertung, die ich erlebt hatte.

Als günstig erlebte ich auch den Umstand, dass ich in relativ kurzen Arbeitsphasen meinen Lebensunterhalt verdienen konnte und trotzdem nach und nach meine Schulden abbezahlte. Die Eigenverantwortung in der Sexarbeit gefiel mir ebenfalls, konnte ich so selbst priorisieren, was, wann und mit wem geschehen würde. Das alles sind Aspekte, die mir heute sehr wichtig sind.

Auf der negativen Seite ist Stigmatisierung zu nennen, und die informelle, äußerst diverse Struktur von Sexwork. Das Letztgenannte hat auch Vorteile, aber ist für mich manchmal herausfordernd. Ich bin manchmal sehr unsicher, wenn ich in Gruppen sein muss, und finde meinen Platz da nicht so leicht. Ich bekomme zwar sehr viele Zwischentöne mit, aber bei der Einordnung hapert es manchmal. Es passiert, dass mich gruppendynamische Vorgänge überraschen und ich nicht verstehe, wie es dazu kommen konnte. Bei so komplexen Zusammensetzungen von Akteur*innen wie in der Sexarbeit war es für mich lange Zeit nicht einfach, einen angenehmen Umgang mit meinen Kolleg*innen zu gestalten.

Ein Aspekt meines autistischen Spektrums ist, dass ich manchmal nur verzögert wahrnehme, wenn mir etwas zu viel ist und ich mir grundsätzlich viel zumute. Meine Begeisterungsfähigkeit ist groß. Meine Leidenschaft auch. Eine befreundete Aktivistin hat mal gesagt: Das Brennen für „unsere Sache“ (die Rechte von Sexarbeiter*innen) sei einerseits ihre Kraftquelle und andererseits ihr Verderben. Genauso sehe ich das auch.

Kraftquelle oder Selbstausbeutung – oder beides?!

Als selbständige Sexarbeiterin muss man relativ viel Umsatz machen um seine Steuerlast, Versicherungen, die gewerbliche Miete und Werbungskosten zu decken und dann noch davon anständig leben zu können. Am Anfang lebte und arbeitete ich nach dem Motto, mehr ist mehr und praktizierte massive Selbstausbeutung. Wo zuvor in meinem Leben, als ich noch angestellt arbeitete, mir die Chefs und Vorgesetzten im Nacken saßen, übernahm ich nun selbst diese Rolle. Auch aus Angst, es nicht zu schaffen und wieder in die Tretmühle des Angestellten-Daseins zurück zu müssen. Nach 1.5 Jahren Selbstständigkeit hatte ich die nächste Depression und  entschied in dieser grässlichen Zeit, dass sich was ändern musste. Ich wechselte ins Studio LUX in Berlin und begann dorthin zu reisen, wo ich angenehme Kund*innen hatte (Ja, nun auch Frauen). Ich entschied, dass ich nicht reich werden wollte, sondern nur ausbalanciert und möglichst mit viel freier Zeit für andere Projekte, über ein Auskommen verfügen wollte. Ich lernte, dass sich intensive Arbeitsphasen im Wechsel mit ausgiebigen Ruhephasen für mich besser eignen, als ein konstant gleiches Arbeitsaufkommen. Gleichförmigkeit ist eh die Killerin in meinem Leben, ich bin kein großer Routinier, obwohl ich als authentische Asperger-Frau schon auch meine festen Rituale und Abläufe habe.

Empowernd ist an der Sexarbeit für mich, dass ich mich immer wieder neu erfinden kann, und dass ich solange mein Durchschnittverdienst stimmt, ziemlich viel selbst entscheiden kann. Seitdem ich mich als Aktivistin engagiere, erlebe ich auch meine persönliche, subjektive Aneignung des Diskurses rund um Sexarbeit als empowernd. Insbesondere auch durch die Fähigkeit, meine Privilegien als weiße cis-Frau abzuwägen und die mir, nüchtern betrachtet, eine Verantwortung auferlegen. Der ich gern versuche nachzukommen.

Toll finde ich, dass ich meine eigenen Fetische ausleben kann, für die es auf dem „Partner*innenmarkt“ sehr wenig passende Gegenstücke gibt, die sowohl wertschätzend, als auch kompetent mit diesen Vorlieben umgehen können. Wie großartig ist es denn, dass ich damit sogar meinen Lebensunterhalt verdiene?! Und wertschätzend Menschen mit ähnlichen Vorlieben abholen kann?!

Corona – und jetzt?

Als im März die Corona-Pandemie meinem Lebensentwurf der letzten Jahre ein abruptes Ende setzte, denn die Arbeitsstätten der Sexarbeit sind seit mehr als 120 Tagen geschlossen, löste dies eine tiefe Krise in mir aus. Ich versuchte es mit Mini-Jobs im Mindestlohnsektor, ertrug die Ausbeutung nicht, erkrankte wieder, kapitulierte schließlich und beantragte HartzIV. Das verschaffte mir in den letzten Monaten eine Atempause bezüglich der Deckung meiner Fixkosten. Ein Dauerzustand kann das nicht sein, da nur bis Ende September keine Vermögensprüfung vorgenommen wird, und auch die anderen Gängelungen, wie Wohnungsgröße, Eingliederung etc. bis dahin ausgesetzt sind. Aber meine Akzeptanz für die neue Situation einer Gesellschaft im Pandemie-Modus musste erst einmal wachsen.

Meine Motivation bei der Sexarbeit zu bleiben ist einfach. Im Kapitalismus gibt es einfach wenig Bereiche, in der eine Frau selbst bestimmen kann, für welches Geld sie arbeitet und noch weniger Jobs, die nicht von so starker Fremdbestimmung gekennzeichnet sind. Das kleinere Übel? Würde ich nicht sagen, denn ich kann meiner Sexarbeit durchaus was abgewinnen. Es ist aber Arbeit und manchmal nervt sie. Stets ermüdet sie mich und das Tauziehen um Menschenrechte von Sexarbeitenden macht es nicht besser.Und doch hat die Sexarbeit mir die Möglichkeit verschafft mich einigen Traumata meines Lebens zu nähern und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Weil die Sexarbeit mich in den letzten Jahren ernährt hat, lernte ich mich nach und nach viel besser kennen und lernte meine Bedürfnisse besser kennen. Danke dafür, Sexwork!
Mir helfen meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus der Sexarbeit. Ich habe mir mittlerweile bewusst ein soziales Umfeld aufgebaut. Das klingt nun wieder sehr nüchtern… Aber es ist für mich immer eine bewusste Entscheidung in Kontakt mit Menschen zu treten und es war ein Meilenstein zu etablieren, dass diese Kontakte angenehm, kurzweilig und warm sein sollten. Meine Gefühle sind nicht nüchtern, sondern voller Zuneigung und dem Wunsch, diese Beziehungen und Freundschaften möglichst respektvoll und umsichtig zu gestalten.

Interessanterweise sind meine Emotionen gegenüber meinen Kund*innen nicht wesentlich anders gelagert als die gegenüber meinen Freund*innen. Ein Unterschied ist, dass ich mir angewöhnt habe, sie nicht über Gebühr mit Bedeutung aufzuladen oder sie zu „mächtig“ werden zu lassen. Kund*innen kommen und gehen, und nicht jedem Wunsch kann oder möchte ich gerecht werden. Mein Selbstverständnis erlegt mir auf, sehr umsichtig vorzugehen. Beide Personengruppen, Kund*innen und Freund*innen wähle ich aus und kann so mitbestimmen, wie der Kontakt verläuft. Anders ist es mit Familie, aber das steht nun wirklich auf einem anderen Blatt Papier.

Zum Abschluss möchte ich ein Plädoyer für die Sexarbeit halten, auch und gerade, weil sie ihrem Wesen nach sehr inklusiv ist. Sowohl ich als Sexarbeiterin mit Behinderung habe meinen Platz, wie auch meine Kund*innen mit Behinderung. Es ist Raum da für uns, und unsere Sexualität. Dass Geld dafür fließt, vereinfacht vieles. Emotionale Gegenleistungen und Care-Arbeit in Partner*innenschaften werden leider oft nicht als Form der Entlohnung aufgefasst, und doch ist es oft genau das: Unbezahlte Arbeit in der Hoffnung eine emotionale Entschädigung dafür zu erhalten. In meiner Form der Sexarbeit veranschlage ich dafür einen Kostenpunkt und verhandele explizit die Gegebenheiten der Dienstleistung. Wie oft habe ich mir in meiner privaten Sexualität gewünscht, dass wir so offen und transparent auch mit unseren Partner*innen umgehen könnten. Ich vertrete diesen Standpunkt auch in meinen Redebeiträgen als Speakerin, möchte es aber hier trotzdem formulieren: Von den Sexarbeitenden kann die Gesamtgesellschaft viel lernen. Von Sexarbeiter*innen mit Behinderung gibt es wiederum Anderes zu lernen. Lasst uns bitte voneinander lernen.
Danke Christian, für diesen Raum, den Du mir hier gibst.

Verrückte Zeiten – Flaschenpost 3.0

Noch eine Flaschenpost aus verrückten Zeiten –
mein 3. Update seit dem Corona – Lockdown

Seit mittlerweile über 100 Tagen befindet sich die Welt in einem Ausnahmezustand, der langsam zu unserer Realität wird. In einer Kolumne im Deutschlandfunk Kultur hörte ich am 24.6. in den Zeitfragen der Kolumne „Orientierungsversuche“ von Matthias Greffrath zu. In der Floskel „Stand heute“ steckte dabei für mich viel Zutreffendes.

Die Formulierung „Stand heute“ fängt meine Situation und die vieler Kolleg*innen und Betreiber*innen in der Erotikbranche in den letzten 100 Tagen zutreffend ein. Nichts und Viel ist in dieser Zeit passiert: Sexarbeiterinnen wurden und werden als Super Spreader diffamiert, Die Bordelle sind und bleiben geschlossen, die Forderung nach Sexkaufverbot wurde laut und lauter und eine ganze Horde von kreischenden Moralistinnen schnuppert während der Corona-Pandemie Morgenluft und nutzt diese Krise schamlos für ihre Zwecke. Sie machen Stimmung in allen Parteien, zuletzt in der LINKEN, und fordern ihre scheinheilige „Welt ohne Prostitution“. Feminismus ist für viele derzeit eine tolle Sachen, zumindest dem Anschein nach, denn: Feminismus macht Quote und ist leicht, sich selbst dem Anstrich von Wohltätigkeit und Engagiertheit zu geben, wenn man einfach die Aussagen von Anderen nachplappert. Ja, dies geht zum Beispiel an die Antilopen Gang, die es sehr wohl schafft, bei Huschke Mau abzuschreiben, aber es nicht mal hinkriegt, auf einen Offenen Brief von Sexarbeiter*innen und NGOs an sie zu reagieren. Das ist so chauvinistisch, dass ich kotzen könnte.

Wir durchleben gesellschaftlich eine tiefe Krise, und sie verändert das Leben nachhaltig. Für mich, als staatlich registrierte Hure, gibt es glücklicherweise Unterstützung in Form von Arbeitslosengeld II. Für viele meiner Kolleg*innen, ohne Aufenthaltsgenehmigung oder Meldebescheinigung, oder schlicht ohne Hurenpass, gibt es die nicht. Deswegen lege ich meinen Lesern nochmal den Solidaritätsfond von Hydra ans Herz:
https://www.hydra-berlin.de/spenden/
da es nach wie vor viel Not gibt, denn seit über 100 Tagen sind unsere Arbeitsstätte geschlossen. Eine Tätigkeit wäre derzeit nur illegalisiert möglich und veranschaulicht in aller Drastik, warum ich ein Sexkaufverbot in Deutschland entschieden ablehne. Die Nachfrage nach Sexarbeit existiert nämlich weiter, natürlich, denn die Sexualität ist ja ein Grundbedürfnis des Menschen, und nicht jed*e ist verpartnert. Auch in Pandemiezeiten bildet der menschliche Körper spezielle das Immunsystem stärkende Botenstoffe nei positiver Berührung/Zärtlichkeit.
Allerdings fehlen die safer spaces in Form von Bordellen, Laufhäusern und Studios, Clubs, Saunen etc. und zudem laufen Kund*innen und Anbieter*innen Gefahr entdeckt und sanktioniert zu werden.
Ich habe mich entschieden, derzeit nicht zu arbeiten, ABER ich bekomme ja auch Unterstützung vom jobcenter.
Andere Kolleg*innen sind auf Cam, Telefon oder Chats umgestiegen. Sie leiden unter der Ausbeutung und den hohen Abgaben in diesen Sparten, bis zu 75% ihrer Umsätze gehen an Plattform oder Provider/Mitverdiener. Viel mehr übrigens als an unsere regulären Vermieter*innen, die ständig als „Zuhälter*innen“ beleidigt werden.
Auch ich biete für Interessent*innen derzeit Hypnose, Audios und tailormade-Stories, sowie Coachings an. Nicht viel, denn den Hauptteil meiner Energie widme ich der politischen Arbeit. Und viel dazuverdienen darf ich eh nicht, sonst wird mir die Stütze gekürzt. Ich jammere nicht, das sind Fakten. Daher bin ich derzeit nicht wie üblich kurzfristig erreichbar und es gibt längere Wartezeiten, bis ich auch für Dich Zeit habe.
Wenn Dich interessiert, wie für meine Podcastkollegin Fabienne und mich der Lockdown war, dann hör doch mal hier rein:
http://whoroscope.eu/2020/05/09/corona-spezial/

In den letzten Wochen durchlebte ich eine steile Lernkurve in Sachen Presse- und Medienarbeit. Fernsehen, Print, Radio, Webtalk schau doch mal in die About Sexwork-Rubrik.

Es gibt also einiges Ernstes und manches Positives zu berichten. Ganz besonders möchte ich meinen Gästen dafür danken, dass sie mich im April sososo viel beschenkt haben. Ihr seid großartig und ich durfte mich sehr gewertschätzt fühlen.

Übrigens:
Der Juli ist mein birthday-Monat und es ist ein offenes Geheimnis, dass ich einen runden Geburtstag feiere. Meine Wunschliste ist derzeit wieder aktualisiert und ich freue mich darauf, das ein oder andere Geschenk auszupacken. Der Tag der Tage ist der 6. Juli.

Hier geht es zu meiner Amazon-Wunschliste.
Kleiner Tipp, manche Geschenke erfordern eine Versandadresse. Entweder Du fragst mich per Mail danach oder Du lässt es mir ins Studio LUX senden, wenn es ein kleineres Format hat:

Studio LUX c/o MAILBOXES etc.
Mademoiselle Ruby

Tempelhofer Damm 127
12099 Berlin

Noch mehr als auf Geschenke freue ich mich auf den Tag, ab dem ich wieder legal und selbstbestimmt arbeiten kann. Eine Prognose darüber abgeben, wann das sein wird, kann ich aber leider auch nicht. Es hängt eben alles mit dem Verlauf der Pandemie, dem Wohl und Wehe der Politik und mit dem Erhalt unserer Arbeitsplätze ab.

Ein letzter Aufruf. Unterstützt bitte Eure lokalen Sexworker und Betreibende. Gerade die Betreibenden kämpfen mit der Insolvenz und in manchen Bundesländern gibt es auch keine zweite Runde Soforthilfe.

Gebt Acht auf Euch,
Eure Ruby

Nichts Halbes, und Nichts Ganzes

„Nichts Halbes und nichts Ganzes“ bedeutet in Krisenzeiten im Zweifel seine Klientel im Regen stehen zu lassen

Leserinnenbrief einer Sexarbeiterin an die Caritas, SkF, neue caritas

An die Autorinnen des Artikels „Licht und Schatten eines Gesetzes“ (neue-caritas vom 14.06.20):

Liebe Frau Lintzen und liebe Frau Mersch,

Eine Positionierung der Caritas zum knallhart diskutierten Feld Sexarbeit ist überfällig. Alle großen Organisationen von Amnesty International über das Deutsche Institut für Menschenrechte bis hin zur Diakonie haben bislang die Notwendigkeit und das Gebot der Stunde erkannt und sich gegen ein mögliches Sexkaufverbot in Deutschland gestellt.
In diesem Zusammenhang habe ich vor Kurzem den Twitter-Account der Caritas Deutschland um eine Positionierung zum Thema Sexarbeit gebeten und wurde auf Ihren Artikel im aktuellen neue-caritas-Heft hingewiesen.
Zunächst möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es in meinen Augen kein guter Stil ist, diesen Artikel zu erwähnen um ihn dann aber nicht barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Sie können doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass Sexarbeiter*innen dieses Heft abonnieren? Im Zusammenhang mit einer für uns Sexarbeitende sehr wichtigen Forderung „Redet mit uns – nicht über uns.“ erscheint diese Publikationsweise zusätzlich problematisch. Da wäre also zügige Nachbesserung erforderlich. (Das ist mittlerweile dankenswerter Weise passiert, an dieser Stelle Danke an die neue caritas)

Abgesehen davon möchte ich mich inhaltlich mit Ihrem Artikel befassen.
„Was die gesetzlichen Regelungen allesamt nicht vermochten, ist, die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu verringern. (…) Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe an der alle (…) mitwirken müssen, dass die Nachfrage und Nutzung von Prostitution unter Inkaufnahme der teilweise desolaten physischen, psychischen und wirtschaftlichen Situation der Prostituierten keine Akzeptanz mehr findet.“
Ich lese diesen Absatz am Ende Ihres Artikels als Plädoyer für die gesellschaftliche Ächtung von Sexarbeit. Sie wollen die Nachfrage verringern, diese Forderung wird derzeit auch aus anderen Kreisen laut, und verbindet sich einhellig mit dem Wunsch nach Freierkriminalisierung oder noch etwas deutlicher: Sexkaufverbot.

Gleichzeitig erörtern Sie in Ihrem Text, dass die Evaluation des ProstituiertenSchutzGesetzes abgewartet werden müsse, nutzen aber mit Blick auf den am 14.05.2019 erschienen „Bericht“ Auswirkungen des ProstituiertenSchutzGesetzes auf die Prostitutionsszene in NRW  für erste Schlüsse. Dieser sogenannte „KOBER-Bericht“ liegt mir vor und auch hier stellen sich mir nicht wenige Fragen:

1. Mir fehlt durch das ganze Dokument hindurch, dass Quellen angegeben werden und Aussagen nicht nur aufgestellt werden, sondern auch wissenschaftlich begründet oder hinterfragt werden.
2. Mir fehlt der Aspekt, dass es sich um Beratungsstellen-Klientele handelt, die aufgesucht und befragt werden. Wenn Sie durch Befragung zur Gesundheit im Wartezimmer eines Allgemeinmediziners hoffen, zutreffende Aussagen über den Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung in Deutschland treffen zu können, wird jede Person mit gesundem Menschenverstand gleich den Kopf schütteln und nach einer Referenzgruppe fragen.
Klar, worauf ich hinauswill, oder?
3. Ich habe, wenn ich mir Ihre Schlussfolgerung im aktuellen Artikel auf der Zunge zergehen lasse, große Bauchschmerzen mit mehreren Aspekten des Berichtes, auf den sich Ihr Text ja explizit stützt.

  • Hätten die befragten Sexarbeitenden einer Auswertung in diesem Sinne zugestimmt, wenn man Ihnen gesagt hätte, dass die ethnografische Begleitung und Auswertung dazu missbraucht werden wird, „die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu verringern?“ Hat man sich – wenn man den Artikel von heute und die darin enthaltene, für die eigene Klientel problematische Positionierung miteinbezieht – da vielleicht das Vertrauen eher für die eigenen Zwecke und für das eigene Weltbild erschlichen? Oder vor den Karren einer Moralisierung gespannt?
  • Forschung zeichnet sich in der Regel durch eine Erläuterung der Methodik, der Fragestellung und einer peniblen Quellen- und Zitationsweise aus. Wer hat geforscht? Wozu wurde geforscht? Welche ethischen Grundsätze wurden angewandt? Da sehe ich deutlichen Nachbesserungsbedarf.
  • Im Bericht werden häufig Gemeinplätze, Wertungen, Zuschreibungen und Narrative verwendet, die weder auf Inhalt oder Herkunft untersucht werden, noch problematisiert werden.

Der Rahmen dieses Briefes an Sie ist zu eng, um im Einzelnen darauf eingehen zu können, dennoch wollte ich benennen, dass ich Zweifel an der Wissenschaftlichkeit dieses Berichtes habe und sich diese Zweifel zu einer massiven Skepsis verdichten, wenn ich Ihren Artikel als mittelfristige Schlussfolgerung verstehe.
In weiten Teilen Ihres aktuellen Artikels muss ich die paternalistische Bevormundung kritisieren, mit der sie Sexarbeitende durch Repression, wie Zwangsregistrierung/Zwangsberatung und durch die systematische Vernichtung guter Arbeitsplätze zu besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen verhelfen wollen.

„Die Lebens- und Arbeitssituation vieler Sexarbeitenden haben sich deutlich gebessert. Nicht wenige Betriebe mussten schließen, weil ihnen das Umsetzen dieser baulichen und konzeptionellen Vorgaben nicht möglich war.“
Frau Lintzen, Frau Mersch, wen haben Sie denn zur Lebens- und Arbeitssituation befragt? Jene Sexarbeitenden, die in Eigenregie ein kleines Wohnungsbordell betrieben und sich mit flachen Hierarchien sowohl Kosten- und Erträge aus Ihrer Sexarbeit teilten? Die aber keine zweite Toilette einbauen lassen konnten, oder deren Deckenhöhe 5cm zu niedrig war und die deswegen schließen mussten? Oder das Opfer von Zwangsprostitution, dessen Profiteur*in der Ausbeutung sicherlich keine Konzession nach ProstSchG beantragt hat und das somit vor und nach Einführung des ProstSchG unsichtbar für Hilfsangebote und unauffindbar für Ermittler*innen war? Wohl eher nicht.
Ich möchte auf keinen Fall auf die aktuellen Betreiber*innen von Prostitutionsstätten mit dem Finger zeigen und behaupten, jene, die die Einführung des ProstSchG wirtschaftlich überlebt haben, wären nicht bemüht und bestrebt gute Arbeitsbedingungen für ihre Mieter*innen zu ermöglichen. Fakt ist aber, dass viele der Betriebe, die geschlossen haben, nicht zwangsläufig schlechte Arbeitsplätze darstellten. Fakt ist auch, dass Ihre Verallgemeinerung substanzlos daherkommt, wenn es um die aktuelle Lebens- und Arbeitssituation von Sexarbeitenden geht. Am 14.6. galt in Deutschland zudem bereits  seit 3 Monate ein Tätigkeitsverbot für Sexarbeitende, von dem auch Sie sicher gehört haben? Dazu wäre eine Stellungnahme dringend erforderlich. Nicht mit einem Wort erwähnen Sie diesen Umstand, wieso nicht?
Betroffen bin ich auch über Ihre Relativierung des repressiven Charakters des ProstSchG: Sie referieren zwar, dass sich bis 2018 lediglich 33.000 Personen dem Prozedere der Zwangsregistrierung unterzogen haben, aber sprechen den Kolleg*innen lediglich das subjektive „Gefühl“ von Auslieferung und Stigmatisierung durch behördliche Erfassung zu. Warum tun Sie sich so schwer, anzuerkennen, dass die Zwangsregistrierung über sehr wenig Akzeptanz in der Branche verfügt? Dass der Grund hierfür die Stigmatisierung von Sexarbeit, mangelnde Anerkennung und die allgegenwärtige begriffliche Verknüpfung von Kriminalität, Steuerhinterziehung und Menschenhandel mit der Sexarbeit ist?
Es gibt Teile in Ihrem Artikel, wo Sie zutreffende und richtige Sachen über meine Branche sagen. Insbesondere dort, wo Sie die Politik in die Pflicht nehmen und in Ansätzen über Push- und Pullfaktoren für die Sexarbeit nachdenken, kann ich erkennen, dass der SkF auch über haltbare Einsichten verfügt. Oder, wenn Sie konzedieren, dass das ProstSchG negative Begleiterscheinungen hat. Doch summa summarum entscheiden Sie sich für ein lavierendes Relativieren und resümieren,„dass es weiterhin darum gehen muss, einen Mittelweg zu finden“. Ist das so?

Liebe Frau Mersch und liebe Frau Lintzen, NEIN, das ist mit Verlaub nicht möglich.
Man kann nicht ein bisschen am Stuhl der Sexarbeit sägen, oder sich nur ein wenig in die kochende Debatte um Sexkaufverbot und Entkriminalisierung einmischen. Man kann auch nicht ein bisschen Wissenschaft betreiben und man kann auch nicht aufgrund des eigenen moralischen Unbehagens nur ein wenig Paternalismus und Mandatsmissbrauch an seiner Klientel üben.

Ich sehe viele Möglichkeiten, den Gesamtverband SkF und auch den Verband der Caritas bei einer Positionierung kritisch zu unterstützen und möchte Ihnen anbieten, mit Ihnen in die Diskussion zu gehen. Kürzlich habe ich mich mit der MdB Sylvia Pantel ausgetauscht und bin gern bereit auch mit Ihnen einen Diskurs zu führen. Ich bitte Sie darum, die Seite der Sexarbeitenden unvoreingenommen anzuhören und sich der Kritik am KOBER-Bericht zu stellen.
Weiterhin würde ich mir wünschen, dass Sie sich darüber informieren, was eine weitere Regulierung der Branche für Nachteile mit sich bringt, und welchen hohen Zoll das Sexkaufverbot in Ländern wie Schweden und Frankreich bereits fordert. Hierzu habe ich Ihnen eine einführende Leseliste zusammengestellt, die ich mit sende.

Mit freundlichen Grüßen,

Ruby Rebelde
Sexarbeiterin & Aktivistin, Vorstandsfrau Hydra e.V.

 

 

 

 

 

Für Sie nochmal in aller Deutlichkeit, Frau Mau.

Für Sie nochmal in aller Deutlichkeit, Frau Mau:
Ich fordere eine sachliche Debatte, die dem Ernst des Themas angemessen ist.

Huschke Mau hat nicht verstanden, dass mein Offener Brief und auch die Petition nicht an sie gerichtet waren. Auf Ihrer Facebook-Seite  tut sie etwas, was sie sonst nach eigenen Angaben nicht praktiziert, sie berichtet ihrer Gefolgschaft über meine „Hetze“, und badet danach in über Hunderten unqualifizierten Kommentaren, die alle am selben kranken, nämlich an der mangelnden Fähigkeit sich einer sachlichen Kritik zu stellen.
Leider ist es genau das, was wir alle in dieser Debatte so schmerzlich vermissen, nämlich Sachlickeit statt Meinung.
Statt mich diesem desolaten und politisch verlotterten Klima auf Facebook auszusetzen, veröffentlichte ich meine Antwort auf Twitter und hier und kommentierte nur einmal, der Vollständigkeit halber unter ihren Rant:

Frau Mau, was genau an meinen ernstgemeinten Vorwürfen an Sie lässt sie „sehr lachen“?
Mir drängt sich der Eindruck von Unangemessenheit auf ist, zeigt es doch, dass Sie sich nicht sorgfältig mit Kritik auseinandersetzen.
Statt „Geschichten zu erfinden“, führe ich hier nochmal auf, was ich Ihnen vorwerfe.

Ich werfe Ihnen Rassismus vor. Ihre politische Forderung nach Freierkriminalisierung und Sexkaufverbot bedroht Migrant*innen in der Sexarbeit aufgrund der Illegalisierung ausgewiesen zu werden, keinen Lebensunterhalt mit einer selbstgewählten Arbeit verdienen zu können und im Heimatland eine erheblich schlechtere Situation mit unsicheren Verdiensten vorzufinden. Politisch wird das Sexkaufverbot dazu genutzt: Für die Abschiebung von migrantischen Sexarbeiter*innen und das ist bekannt.

Ich werfe Ihnen reaktionäre Sexualmoral vor, weil Sie sich für ein Verbot von sexuellen Handlungen einsetzen, die konsensuell und gegen ein Entgelt zwischen zwei Menschen vereinbart werden und solange keine Straftat darstellt, wie kein Menschenhandel, Vergewaltigung oder Zwang involviert ist. Da können Sie noch so häufig sagen, dass Sexarbeit Vergewaltigung sei, es wird dadurch nicht richtiger, sondern bleibt eins: Ihre Meinung. Ihre Meinung dürfen Sie nicht Grundlage von Verboten  erheben. Also ersparen Sie uns Ihre hetero-normative Ignoranz.
Sexualität ist ein Grundbedürfnis, dem Menschen auf unterschiedliche Art und Weise nachkommen: Manche in der Ehe, manche im Bordell. Andere auf Dating-Plattformen, wieder andere in außerhelichen Affären. Ihnen, Frau Mau, steht ein Urteil darüber genau so wenig zu wie mir. Mir ist nur eins wichtig, dass die Menschen, die erotische und sexuelle Dienstleistungen anbieten und in Anspruch nehmen dies im Bewusstsein tun können, dass Sexarbeitende (Menschen-)Rechte haben, nicht stigmatisiert werden und sie eine wichtige und bedeutsame Arbeit tun. Dass ihnen Respekt gebührt, und sie sich auf einen sicheren Rahmen verlassen können, der Arbeit von Ausbeutung trennt. Dass sie, wenn Übergriffe vorkommen, Anzeige erstatten können und nicht mit Abschiebung oder Diskriminierung durch Polizeibeamte rechnen müssen. Dass es Anlaufstellen gibt, die beraten, bei Bedarf unterstützen und die akzeptierend mit ihnen umgehen ohne dies mit Forderungen nach Ausstieg zu verknüpfen.

Ich werfe Ihnen vor, dass Sie auf den Menschenrechten von Sexarbeitenden herumtrampeln. Es gibt ein Recht auf freie Berufswahl. Es gibt ein Recht, nicht diskriminiert zu werden. Mir ist keine Menschenrechtsorganisation bekannt, die nicht vor einem Sexkaufverbot warnt.

Ich werfe Ihnen vor, dass Sie jegliche andere Auffassung als Ihre als Prostitutions- oder Zuhälterlobby diskreditieren und damit verhindern, dass wir uns um die inhaltliche Verbesserungen der Bedingungen von Sexarbeitenden kümmern, wie Sexarbeitende weltweit es seit Jahrzehnten fordern. Stattdessen polarisiert sich der Diskurs und es geht schon lange nicht mehr um Inhalte, sondern um Meinungen.

Ich werfe Ihnen vor, dass Sie Stimmung machen. Statt anzuerkennen, dass ein komplexes Thema wie Sexualität -schambehaftet, intim und tabuisiert- es verdient, sachlich, vorsichtig und ergebnisoffen diskutiert zu werden. Dem wirken sie mit Ihrer Hetze gegen Freier*innen und Sexarbeiter*innen entgegen und öffnen Abwertung und Ignoranz stattdessen Tür und Tor. Wir brauchen eine Debatte um Wert, Probleme und Perspektiven für Menschen in der Sexarbeit. Weder Ihr bedauerliches Einzelschicksal noch die begrüßenswerten Erfolgsstories einzelner Kolleg*innen bilden nämlich das ab, was der Durchschnitt von Sexarbeiter*innen in Deutschland zu ihrer Arbeit motiviert. Das gilt es in einer polarisierten Debatte sichtbar zu machen und das verhindern Sie mit ihrer Stimmungsmache.

Ich werfe Ihnen vor, dass Sie eine Debatte verkürzen, emotionalisieren und einen sachlichen Diskurs behindern. Ihre Parolen zeugen von Fanatismus und von mangelnder Differenzierung.. Doch halten diese Parolen der Überprüfung anhand der Realität von Sexarbeitenden nicht stand. Sie halten auch einer wissenschaftlichen Analyse nicht stand. Nicht umsonst gibt es weit über hundert Studien, die sich bereits mit den nachweislich negativen Konsequenzen eines Sexkaufverbots beschäftigen.

Ich werfe Ihnen Opportunismus vor, wenn Sie sich medienwirksam über einen Oliver Pocher empören, dabei das Zwangsouting meiner Kolleginnen kritisieren, aber selbst eine zutiefst feindliche Haltung gegen Sexarbeitende einnehmen und weiterhin ihre „Welt ohne Prostitution“ fordern. Ich fordere Sie auf, aufzuhören, Sexarbeitende wie mich, nach Ihrem Gutdünken entweder als Opfer zu entmündigen oder sich wahlweise mit ihnen zu solidarisieren, wenn es Ihnen gerade passt. Das ist pure Doppelmoral. Hören Sie auf mit dem Wohlergehen von Sexarbeitenden zu argumentieren.
Sie treten für Illegalisierung ein und damit für schlechte Arbeitsbedingungen, Aberkennung von Menschenrechten und steigender Stigmatisierung von Menschen in der Sexarbeit!

Offener Brief an die Antilopen Gang

(Bildnutzung dank freundlicher Genehmigung der Kampagne: Sexarbeit ist Arbeit)

Offener Brief an die Antilopen Gang zum Video „Kleine miese Type“

und der Forderung nach einer Welt ohne Prostitution

 

Liebe Antilopen Gang,

Mein Name ist Ruby, ich bin intersektionelle Feministin und aktive Sexworkerin. Ich wende mich an Euch als unabhängige Sexarbeits-Aktivistin und ich mag Eure Musik. Mit großer Erschütterung habe ich festgestellt, dass Ihr Huschke Mau, die sich in Deutschland massiv für die Abschaffung von Sexarbeit und damit für eine Repression von Sexualität und zwischenmenschlichen Beziehungen einsetzt sehr viel Raum und Sichtbarkeit eingeräumt habt.
Erst im Februar habe ich in Berlin Euer Konzert besucht und hatte so viel Spaß. Umso mehr möchte und muss ich Missverständnisse und Probleme ansprechen, die mit der Person Huschke Mau und ihren politischen Positionen verbunden sind. Ich hege die Hoffnung, dass Euch, wie vielen anderen diese Punkte auf die ich gleich eingehen werde, nicht bewusst waren.

Für Tausende Menschen in der Sexarbeit ist die Darstellung von Huschke Mau als Aktivistin für Frauenrechte ein Schlag ins Gesicht. Für noch mehr Menschen, die einen inklusiven und intersektionellen Feminismus vertreten, der die Rechte von LGBTQIA*Personen respektiert, ist es ein NO-GO, was Huschke Mau und ihre Verbündeten fordern. Doch eins nach dem Anderen.

Die Causa Pocher und die Person Huschke Mau
Huschke Mau kritisiert zu Recht Oliver Pocher für das Zwangsouting unserer Kollegin Laura Fatale. Das ist aber bei Weitem nicht der Kern der Sache für den Mau und ihre Verbündeten von Netzwerk Ella, SOLWODI, SISTERS und Neustart stehen. Darin liegt ein dreister Widerspruch, sich solidarisch mit Sexarbeiter*innen zu erklären und gleichzeitig eine „Welt ohne Prostitution“ zu fordern, die den Sexarbeitenden ihre Existenzgrundlage sowie ihr Selbstbestimmungsrecht entzieht. Geschickt lassen Leute wie Huschke Mau es so aussehen, als träten sie für die Rechte von Sexarbeiter*innen ein. Schauen wir mal genauer hin:

Sexarbeit in Deutschland
In Deutschland ist Sexarbeit legalisiert, trotzdem kämpfen wir Huren aller Geschlechter täglich gegen Diskriminierung und Stigma. Erst seit 2002 dürfen wir unserer Arbeit in einem legalen Rahmen ohne den Sittenwidrigkeitsstempel nachgehen und unsere Kund*innen können sexuelle Dienstleistungen kaufen, ohne mit Strafanzeige oder Ordnungsgeldern rechnen zu müssen. Seit 2017 mit der Einführung des ProstituiertenSchutzGesetz (http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl116s2372.pdf) weht uns bereits wieder ein scharfer Wind ins Gesicht. Die Zwangsregistrierung (§3 ProstSchG ) mit der Einführung des Hurenpass und die zunehmende Regulierung der Branche schafft keine besseren Verhältnisse für Sexarbeitende in Deutschland. Schon jetzt werden Sexarbeiter*innen, die sich aus Angst vor Datenklau, Outing oder weil sie keinen Wohnsitz in Deutschland und/oder keine Arbeitserlaubnis haben, nicht registrieren lassen, in die Illegalität gedrängt.

Sexarbeit in Ländern mit Sexkaufverbot

Die Situation in Ländern wie Schweden, Kanada und Frankreich (u.a.), wo das von Huschke Mau geforderte Sexkaufverbot herrscht und Freier*innen kriminalisiert werden, ist verheerend.
Es bedeutet die gesellschaftliche Ächtung von Sexarbeit, die Anbieter*innen gehen zwar vordergründig straffrei aus, stattdessen müssen die Kund*innen mit Strafen rechnen. Man bestraft also die Nachfrage und sagt, die Sexarbeiter*innen hätten nichts zu befürchten. Doch ist die Realität in diesen Ländern eine andere:
Jede*r, der Sexarbeitende in irgendeiner Form unterstützt, egal ob Eltern, Freunde, Partner*innen, Dienstleister*innen oder sonstige Provider macht sich der „Förderung der Prostitution“ oder gar der Zuhälterei schuldig. Das sieht dann so aus: Sexarbeitende Person möchte eine private Wohnung mieten: Nein, das ist Zuhälterei oder „Sittenwidriges Bordell“. Sexarbeitende Person hat ein Kind: Es kann ihr entzogen werden, weil sie keinen „moralisch einwandfreien Lebenswandel“ vorweisen kann: Kindesentzug! Sexarbeitende bezahlt ein Taxi: Vorschub der Prostitution! Es geht soweit, dass Unterstützungsorganisationen kein Bankkonto eröffnen dürfen um Fördermittel zu empfangen. Es ist eine furchtbare Stigmatisierung, die dort gesetzlich verankerte Realität ist.

Zurück geht die Forderung nach Sexkaufverboten auf eine Moralpolitik, die protestantischen Ursprungs ist und allein synchrone Beziehungen zulässt. In Schweden ist dieses Gesetz am Längsten in Kraft und ist bereits in Herkunft und Konsequenz erforscht worden, hier findet man mehr fundierte Infos zu diesem Thema:

Susanne Dodillet: https://missymagazine.de/wpcontent/uploads/2014/02/Dodillet_Oestergren_Das_schwedische_Sexkaufverbot.pdf
Seinen Zweck, Sexarbeit zu verdrängen, erfüllt es nicht, denn natürlich arbeiten die Kolleg*innen weiter, nur eben in der Grauzone, ohne Unterstützung, schützende Gesetze und Rechte. Ergo, es verschlimmert die Situation der Sexarbeitenden und das ist schon lange bekannt.

Die Forderung nach Sexkaufverbot in der Corona-Krise
Mit solchen Organisationen wie Neustart, SISTERS, SOLWODI und Aktivist*innen wie Mau, Norack und  Kraus können wir Sexarbeiter*innen uns nicht einmal auf den Begriff unserer Tätigkeit einigen. Für sie ist Prostitution Vergewaltigung, doch wir fordern „Sexarbeit ist Arbeit – Respekt!“ Statt Prostitution sprechen wir von Sexarbeit um den Arbeitscharakter unseres Berufs zu betonen und Anerkennung statt Verboten zu fordern.

Gerade jetzt die bittere Wahrheit: Die Hurenbewegung in Deutschland, Österreich und anderen Ländern ist chronisch pleite aber solidarisch in der Corona-Krise. Wir stellen große Hilfsfonds für Kolleg*innen auf die Beine, die aufgrund ihres Status als Migrant*innen, Geflüchtete oder Nicht-Registrierte Sexarbeitende keine Anträge auf Soforthilfe oder ALG2 stellen können.
Die Organisationen, wie Neustart, Netzwerk Ella, SISTERS und SOLWODI, für die Huschke Mau ein Aushängeschild ist („Überlebende der Prostitution“) sind wohlausgestattet mit Mitteln und Funding. Sie leisten sich teure Kampagnen, wie #Rotlichtaus oder #KarlsruhegegenSexkauf, und scheinen über endlose Mittel für Kongresse etc. zu verfügen. Vollzeitaktivistinnen wie Mau und Co gibt es dagegen in unseren Reihen so gut wie nicht. Deswegen sind wir in der Debatte auch deutlich unterrepräsentiert und müssen uns immer mühsam Zeit und Energie für politische Arbeit nehmen.

Die zentrale Forderung von Huschke Mau und ihren Verbündeten ist ein Sexkaufverbot in Deutschland. Hasserfüllt sprechen sie über „Deutschland, das Bordell Europas“ und bezichtigen Aktivist*innen aus unseren Kreisen als Zuhälterlobby. Sie trollen unsere Profile in den sozialen Medien und stören die wenigen öffentlichen Auftritte, die wir als engagierte Aktivistinnen neben unserer Arbeit leisten können. Noch mehr als uns selbstbestimmte Huren hassen sie unsere Kund*innen und überziehen sie mit einer nicht endenwollenden Häme. Sexualität dürfe nicht käuflich sein, es entwerte sie. Und Personen, wie ich und viele andere Kolleg*innen, seien die Ausnahme. Hier wird unterstellt, dass es viel mehr Opfer von Zwangsprostitution geben würde als Menschen, die aus den gleichen Gründen in der Sexarbeit tätig sind, wie andere ihrem Broterwerb nachgehen, nämlich um Geld zu verdienen. Die Zahlen, die Huschke Mau vorgibt zu kennen, die gibt es nicht und kann es aufgrund der komplexen Zusammensetzung der Branche auch nicht geben.

In der gegenwärtigen Corona-Pandemie sehen sie beste Voraussetzungen um ihre Forderung Realität werden zu lassen. Direkt am 14.03.20 bejubelte Leni Breymaier die Schließung unserer Arbeitsstätten und twitterte „Man(n) könne ja jetzt schon mal für ein Sexkaufverbot üben.“ Uns Sexarbeitenden sind die Einnahmen weggebrochen, die mit Hurenpass Registrierten können Anträge auf Soforthilfe und ALGII stellen und erhalten vorläufige Unterstützung, doch was ist mit den vielen Kolleg*innen, die sich nicht registrieren konnten, aus Angst vor Outing, die aus anderen Ländern zum Arbeiten nach Deutschland kommen? Ich weiß, Huschke Mau und ihre Verbündeten wollen solidarisch mit Kolleg*innen in der Krise klingen, aber das ist reine Rhetorik. Sie sind es nicht.

Differenzierung statt monokausaler Augenwischerei

Eins möchte ich ganz klar stellen, die moderne Realität der Sexarbeit ist weder das Happy-Hooker-Narrativ („fröhliche Escorts“) noch das der menschengehandelten Zwangsprostituierten, beide Extreme gibt es und ich leugne ihre Existenz nicht, aber sie bilden nicht die Regel ab. Die Mehrzahl der Sexworker arbeitet nicht aus physischem oder psychischem Zwang in der Sexarbeit, sondern weil es ein Modell ist, den Lebensunterhalt zu bestreiten, Ausbeutung zu Mindestlohn, Saisonarbeit, wie derzeit z.B. währender der Spargelernte sind andere Modelle. Für manche eine Übergangslösung, manche in Teilzeit, andere ein paar Tage im Monat, damit die Miete am Monatsanfang auf dem Konto ist. Andere wie ich selbständig, hauptberuflich und politisch engagiert. Es gibt keine absoluten und belastbaren Zahlen oder Statistiken zu Sexarbeit in Deutschland. Die Branche ist zu komplex und ständig im Wandel begriffen.
Hantieren die Befürworter*innen des Sexkaufverbots, wie Huschke Mau, also mit Zahlen ist Vorsicht geboten. Verweisen sie auf Studien handelt es sich um grobe Vereinfachungen und die Ergebnisse sind bereits mehrfach von renommierten Forschenden entkräftet worden. Es hindert unsere Gegnerinnen nicht daran, jene Forschenden mit dem Generalvorwurf „Zuhälterlobby“ zu überziehen. Mau und Co. argumentieren in einem geschlossenen System und sind keinerlei faktischen Argumenten zugänglich. Ihr Ziel ist einzig und allein die Durchsetzung ihrer politischen Agenda.

Ein Sexkaufverbot in Deutschland? Wir sind entschieden dagegen.

Ein Sexkaufverbot in Deutschland hieße die Menschenrechte mit Füßen zu treten, Tausende Sexworker zu entmündigen und ihre potentielle Verarmung in Kauf zu nehmen. Aufgrund von Stigma wird unsere Berufserfahrung nicht gleichwertig mit anderen Berufen anerkannt und im Falle einer Umorientierung wären wir stark benachteiligt. Außerdem haben Sexarbeitende ein Recht auf freie Berufswahl, egal ob Moralist*innen dies anerkennen können, oder religiöse Fanatiker*innen ihnen dies zugestehen. Ich bin nicht allein mit dieser Sichtweise, in Forschung und Beratung haben die Sexarbeiter*innen in Europa starke Verbündete wie Amnesty International, Deutsche Aidshilfe, STI-Gesellschaft und viele mehr, die seit Jahre fordern Rechte statt Rettung. Sie treten ein für eine Entkriminalisierung und Anerkennung der Sexarbeit und haben aus diesen Gründen den Brief an Euch mitunterschrieben.

Wollt ihr wirklich Leute pushen, die gegen Trans*personen, Migrant*innen und gegen die Selbstbestimmung der Frau agieren?
In der Sache Pocher-Mau-Euer Video hat etwas stattgefunden, das leider immer wieder passiert und nur zu verständlich ist:
Sexarbeit ist ein Bestandteil unserer Gesellschaft über die die allermeisten nicht genug wissen. Somit haben viele Menschen Vorurteile und Berührungsängste mit meinem Berufsstand. Ich habe selbst ein Zwangsouting erlebt und weiß daher genau um Diskriminierung und Stigma, das Sexarbeiter*innen entgegenschlägt, wenn sie geoutet werden. Huschke Mau und ihre Leute argumentieren mit Halbwahrheiten und persönlichen Zeugnissen, die sie geschickt mit ihrer politischen Agenda verquicken. In den Tweets und Texten der letzten Tage habe ich sie daher als „Tränendrüsenfraktion“ betitelt. Mau solidarisiert sich nur vorgeblich und dem Anschein nach mit Laura Fatale. Wo ist das Problem dieser Pseudo-Solidarisierung? Huschke Mau benutzt Laura Fatale dafür ihre politischen Forderungen, die Menschenrechte für Sexarbeitende mit Füßen treten zu pushen. Es ist dreist und widersprüchlich, Menschen zu benutzen, deren Existenz man leugnet und bekämpft. Sie, Alice Schwarzer, Ingeborg Kraus, Sandra Norack und viele, viele mehr stehen für einen Feminismus, der ausgrenzt und verbietet. In der Welt von Mau und Co wird gegen Trans*personen gehetzt, sie nehmen in Kauf, dass in Ländern mit Sexkaufverbot dieses dazu instrumentalisiert wird, Migrant*innen abzuschieben und Menschen mit nicht-synchroner Sexualität zu diskriminieren.

Wenn ich Euer musikalisches Schaffen und die Inhalte Eurer Texte betrachte, kann ich nicht glauben, dass Ihr als Antilopen Gang Position gegen Frauenrechte bezieht. Ich kann nicht glauben, dass Euch Trans*Personen gleichgültig sind, und ihr die Repression von Sexualität fördern möchtet. Ich denke: Euch ging es wie vielen, denen die Botschaft von Huschke Mau auf den ersten Blick unterstützenswert erscheint. Doch ihre Botschaft ist rassistisch, diskriminierend und moralistisch.

Ich würde mir sehr wünschen, dass die Antilopen Gang für einen intersektionellen und inklusiven Feminismus eintritt und die Menschenrechte von Sexarbeitenden und allen anderen Menschen achtet. Diesen Offenen Brief haben zahlreiche Verbündete und Kolleg*innen unterschrieben. Das ist mir wichtig, um deutlich zu machen, dass es keine Einzelmeinung ist, sondern viele Menschen durch dieses Thema bewegt werden.

Was könnt Ihr tun?

Ich und andere Sexarbeiter*innen, sowie die genannten Organisationen und Ressourcen sind bereit, mit Euch zu diskutieren. Ich fände es schlimm, wenn bei Euren Fans und anderen Menschen der Eindruck entsteht, Ihr wärt gegen uns.
Bitte nehmt diesen Offenen Brief zum Anlass, zu überdenken, ob Ihr wirklich nur einer so einseitigen Meinung auf das komplexes Thema Sexarbeit eine Plattform bieten wollt? Bitte berichtet Euren Followern und Fans von unserem Diskurs.

Es grüßt Euch,

Ruby Rebelde

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Die Causa Pocher, Huschke Mau und die Antilopen Gang

Die Causa Pocher, Huschke Mau & die Antilopen Gang

oder

Wieso die Tränendrüsenfraktion um Norack, Kraus & Mau so gefährlich für einen inklusiven Feminismus ist?

(Dieser Text erschien am 6.5. zuerst auf meinem politischen Twitterprofil, daher ist der Stil etwas anders als sonst meine Blogs)

Sie nennen sich Überlebende der Prostitution u erzählen haarsträubende, herzerweichende Stories über Ausstiegsversuche aus der Branche. Ihr Ton erinnert mich an Missionar*innen. Der autobiographische Zug ihrer persönlichen Geschichte verleiht ihnen Glaubwürdigkeit und viele Menschen sprechen aus Empathie auf ihre Schicksale an. Doch hinter solchen bedauerlichen Schicksalen stehen Organisationen wie Neustart e.V. / Solwodi/Sisters/Netzwerk Ella.
Die genannten Organisationen verfolgen ein dezidiertes Ziel, nämlich eine Welt ohne Prostitution und fordern in der Regel die Einführung des Sexkaufverbot, wie u.a. in Schweden, Frankreich, Nordirland. Mau & Norack zeichnen ein eindimensionales Bild sexueller Dienstleistungen.
Sie nutzen billige Stockfotos, wie wassertropfenschwangere Spinnennetze und eine Rhetorik, die an die Märtyrer*innen der Bibel anknüpft um ihre moralische Botschaft zu transportieren: #Sexarbeit sei moralisch falsch + Verachtung des weiblichen Geschlechts, Sex kaufe man nicht.
Diskussionen mit diesen Träger*innen einer Politik der sexuellen Repression ist unmöglich. Sie sind viele, ihre Organisationen sind bestens finanziell ausgestattet (hier mal investigativ über die Herkunft der Gelder aufzuklären wäre fantastisch) und gut in die Politik vernetzt./
Z.B: Leni Breymaier aus der SPD.
in Diskussionen bedienen sie sich rechter Medienstrategien, wie Trollattacken, Fakeprofilen und persönlicher Angriffe.
Ihr Hassobjekt ist die #Hurenbewegung, die ihr Recht auf freie Berufswahl, sexuelle Vielfalt und Mündigkeit verteidigt./6
Die Bewegung um Mau, Norack und Kraus hantiert mit Werkzeugen wie Pathologisierung und schreckt auch vor Rassismus nicht zurück, wenn sie zulässt, dass Sexkaufverbote zur Regulierung von Zuwanderung instrumentalisiert werden.
Sie machen eine binäre Welt auf, in der es angeblich wenige „fröhliche Escorts“ gibt und viele menschengehandelte Opfer von Zwangsprostitution. Vielfach haben wir uns mit ihrer Strategie von falschen Zahlen + angreifbaren Studien auseinandergesetzt und haben dabei Verbündete:
Wie die @Aidshilfe_de, @amnesty_de und viele Forschende, die immer wieder betonen, dass die Argumente dieser Personen und Organisationen, die pro Sexkaufverbot eintreten, nicht haltbar sind.
Leider gehen ihnen auch viele auf den Leim, denn es scheint so wunderbar einfach. Es klingt ja gut, wenn Leute errettet werden sollen und sich Leute derart intensiv für etwas einsetzen. Da kann es schon mal passieren, dass Menschen ohne Vorkenntnisse zur #Sexarbeit (also die allermeisten) ihrem Retter-Opfer-Narrativ aufsitzen. Für Euch ist dieser Thread/Text.
Reflektiert bitte welche Leute ihr featured. Lasst euch nicht von der flachen Rhetorik einwickeln sondern guckt, wer steht dahinter + was fordern diese selbsternannten Retter*innen? Es gibt Ressourcen zu Konsequenzen vom Sexkaufverbot, die als Angriff auf Grundrechte enttarnt.
Der Angriff auf die Huren ist nur die erste Attacke auf eine weitreichende Zensur von moralisch akzeptabler Sexualität und Perversion.
Lasst ihr zu, dass mündige Menschen (nicht nur Frauen, aber das haben Schwarzer, Mau & Co eh nicht auf dem Schirm) entrechtet werden?Dann featured „Aktivistinnen“ wie die Mau & Co weiterhin.
@antilopengang: Ich liebe Eure Musik und deswegen bin ich gestern wirklich fast gestorben als ich Huschke im Abspann zum Pocher Video lesen musste. Daher frage ich Euch:
Wie kann man einerseits für Frauenhäuser Soli-Konzerte geben und andererseits solche rechten Pseudofeministinnen zitieren? Geben Euch die Angriffe auf FB + die schiere Menge an Trollen nicht zu denken?
Es ist total wichtig solche miesen Gestalten wie #Pocher zu dissen, aber mit dem Huschke-Zitat habt ihr einer ganzen Riege von Antifeminismus, Rassismus und Verfechtern von Verboten und Repression gegen Frauen+Trans*Menschen Auftrieb gegeben.
Eine Richtigstellung wäre dran.

Corona und politische (Sex-)Arbeit

Politische (Sex-)Arbeit trotz oder gerade wegen Corona?
Diesen Vortrag habe ich am 3.3.20 in Innsbruck gehalten
Das Foto ist eine Grafik von Adrie Rose, die Du hier findest:

https://adrierose.link/

Sexworkers against work: Sexarbeiter*innen gegen ausgebeutete Arbeit

Menschen auf der ganzen Welt stecken in einer tiefen gesellschaftlichen Krise, die sowohl enorme wirtschaftliche Konsequenzen, als auch immense sozio-kulturelle Auswirkungen hat.
Ohne Zweifel, unsere Gegenwart hat sich extrem verändert, und das innerhalb kürzester Zeit. Die Auswirkungen auf die in relativem Wohlstand lebende weiße Bevölkerung dieses Planeten sind durchaus mit Kriegsgeschehen und ähnlichen traumatischen Erlebnissen vergleichbar, nicht tatsächlich, jedoch gefühlt. Für die Mehrheit in relativer bis großer Armut lebender Menschen dieser Welt wird sich ihre Situation noch verschlechtern, da es an allem fehlt.
Corona (verzeiht mir, wenn ich es so abkürze) hat es binnen kürzester Zeit vollbracht, dass die Nachrichten nur noch um das Pandemiegeschehen im eigenen Land kreisen, die Staaten haben sich abgeschottet und das Schlimmste an all diesen Maßnahmen ist, dass sie kaum jemand in Frage stellt, denn wir sind im „Pandemie-Modus“. Es passiert leicht, dass Menschen, die sich über Sinn- und Unsinn insbesondere der Umsetzung der Maßnahmen durch die Exekutive Gedanken machen, als Täter*innen oder gar Mörder*innen beschimpft werden. Angst ist eine starke Triebfeder, die leider oft inhaltliche Verkürzung und Paranoia mit sich bringt.

Die Ergebnisse der Grenzschließungen kosten jeden Tag Menschenleben, wenn Geflüchtete nicht mehr gerettet werden, da niemand, kein Land, sie aufnehmen will. Corona kostet Menschen durch die Krankheit das Leben, die Dunkelziffer ist aber exponentiell höher, wenn wir betrachten, was mittelbar durch die Pandemie für ein Schaden angerichtet wird.

Abgesehen von Isolation, Einsamkeit und Trauer ist die Limitierung der politischen Arbeit, fehlende Kapazitäten zur Zusammenarbeit und schlichterdings die Tatsache, dass viele Menschen derzeit kein anderes Thema haben, als wie sie einigermaßen durch diese Zeit kommen, das, was mich an Corona am meisten belastet.

Es ruht der Podcast Whorocope, es schlummern die Interviewanfragen, die inhaltliche Auseinandersetzung mit Gegner*innen ist nahezu ins Koma gefallen..
Nur: Machen wir uns doch nichts vor: Die Reaktion und die SWERFS & TERFS, ihre antifeministische und antihumanistische Reaktion pausiert nicht.

Daher habe ich mich (auch auf Bestreben eines lieben Kunden) dazu durchgerungen, Dir einen ganz zentralen Vortrag, den ich am 3.3.2020 in Innsbruck gehalten habe, endlich zugänglich zu machen.
Ich gebe Dir das Audio frei, teile es gern , wenn Du die Quelle nennst, aus der dieser Inhalt stammt. Auf Anfrage versende ich das Skript auch als PDF: ruby@mademoiselleruby.com

Die Aktualität des Vortrags über ausgebeutete Arbeit ist heute aktueller denn je. Die gesellschaftlichen Fragen, die ich natürlich nur anreißen konnte, liegen eigentlich blank auf dem Tisch unserer Gesellschaft und wer heute mal über die Konsequenzen von Entfremdung, Ausbeutung und Kapitalismus nachdenken möchte, der hat durch Corona noch gravierendere Beispiele, meist direkt in seiner Nachbarschaft oder im direkten Umfeld. Falls Du den Vortrag gut findest, freue ich mich wenn Du Hydra e.V. und ihrem Solidaritätsfond für Sexarbeitende eine kleine oder große Spende zukommen lässt.

https://www.hydra-berlin.de/spenden/

Corona verändert meine Welt – Flaschenpost aus der Isolation

Ich habe mich seit dem Beginn der Corona-Krise nicht zu Wort gemeldet, eigentlich hatte ich vor über die fantastische Veranstaltung gemeinsam mit IBUS in Innsbruck zu berichten, aber dazu kam es dann nicht mehr. Tirol ist jetzt Risikogebiet und damit hat es sich. Hast Du Dich isoliert? lautet die Frage, Neugier auf die Inhalte, die wir da bewegt haben kann sich derzeit kaum jemand leisten.

Es frustriert mich über alle Maßen, wie die gesamte politische Arbeit, kulturelle Beiträge auf einmal obsolet und unwichtig werden, denn alles steht im Schatten der Krise.

Ein Effekt der weltweiten Pandemie ist, dass sich unser Denken und Handeln zunächst nur noch um die Verbreitung des Virus und dann immer mehr um Persönliches dreht, weil unsere Reichweite sich ausschließlich auf den privaten Raum erstreckt. Sie verkleinert das Denken und Handeln. Der tägliche Einkauf ist die größte Herausforderung, dicht gefolgt von der Planung des täglichen Spaziergangs, Telefonate mit Freunden und Familie und immer wieder der bange Blick aufs Konto gepaart mit der Erkenntnis, dass das Leben, was ich mir mühsam aufgebaut habe derzeit der Vergangenheit angehört.

Ich chatte jetzt mit meinen Gästen, spreche ihnen Audios oder schreibe Mails. Das ist noch der schönste Aspekt von Corona, dass wir uns andere Disziplinen erschließen, solche, die auch irgendwie inklusiv sind, denn nicht jede*r bringt:
1. Mein Honorar für eine Session auf,
2. Besitzt den Mut zu einem persönlichen Treffen,
3. Befindet sich in Anfahrtsnähe zu meinen regulären Arbeitsorten Berlin, Hannover und München.
Nein, es ersetzt mir den persönlichen Kontakt zu meinen Kund*innen nicht, aber ja, es ist schön zu sehen, wie kreativ ich werden kann und: Schreiben und Sprechen liegt mir.

Ihr fragt mich oft, wieso keine Onlinemeetings mit Bild und Ton mit mir möglich sind. Das hat mehrere Gründe. Ich stelle fest, dass meine Internetbandbreite in der brandenburgischen Pampa dafür nicht wirklich reicht. Schon in Zoom-Calls oder Skype-Meetings wackelt und zackelt es, und oft bin ich kaum zu verstehen. Das kann nicht sexy sein, wenn es um erotischen Content geht. Außerdem empfinde ich eine gewisse Sperre, aus meinem persönlichen Zuhause heraus die Welt aufzugeilen. Auf keinen Fall soll das die Mühe und Arbeit meiner zahlreichen Kolleg*innen schmälern, die derzeit so arbeiten wollen und müssen, aber für mich ist das irgendwie nichts. Und, zu guter Letzt habe ich wohl auch Angst davor, dass es mir meine Einsamkeit noch deutlicher vor Augen führen könnte.

Zusammengerechnet mit der häuslichen Isolation nach Tirol, die ich aus Respekt vor meinen Gästen eingehalten habe, nicht weil ich symptomatisch gewesen wäre, sind es bereits 4 Wochen, die ich mich nun physisch fern halte. Ich spreche bewusst nicht von sozialer Distanzierung, denn ich habe beinahe einen Hass auf diesen Begriff entwickelt. Es geht um Abstand und nicht um Abschottung, oder?
Schmerzhaft ist zu sehen, dass sich mein Bekanntenkreis in zwei Lager spaltet, jene, die die Maßnahmen möglichst buchstabengetreu einhalten und keine Gelegenheit verstreichen lassen, ihr Umfeld mit Instruktionen zum „richtigen“ Händewaschen und Abstandsbildchen in den sozialen Medien zu bombardieren. Die es sich nun mit einem guten Buch auf der Wohnlandschaft oder im Garten gemütlich machen und aus dem sicheren Netz der Festanstellung heraus abwarten. Sie verwenden Formulierungen, wie „vorauseilenden Gehorsam“. Eine hinterfragender Blick auf die derzeit aktiven Maßnahmen, deren wirtschaftliche, psychologische und persönliche Konsequenzen wir bisher nur erahnen können, ist für sie Grund genug, Dich als Täter*in zu shamen. Es ist so traurig, dass der gesellschaftliche Druck sich immer auf die Schwachen umleitet und sich Menschen in Krisenzeiten nicht gern eingestehen, dass auch ihr „superkorrekten“ Verhalten den Druck umverteilt. Perfekt sein ist in diesen Zeiten auch ein Schlag in das Gesicht all jener, die sich Perfektion schlicht nicht leisten können.
Das andere Lager ist sich bewusst über die Herausforderungen und solidarisiert sich vorsichtig. Wir erarbeiten Strategien von Austausch und den ein oder anderen Spaß selbst in diesen tristen Zeiten. Psychische und soziale Gesundheit ist für diese Menschen kein Fremdwort und sie können Phrasen von ehrlichen Aussagen unterscheiden. Es tut gut, solche Personen in seinem Umkreis zu wissen.
Und doch gehören beide Personengruppen zu meinem Freundeskreis. Es ist für mich sehr schwer zu akzeptieren, dass Anpassung auch eine Strategie darstellt und nicht jede*r die Absichten oder verborgene Begleiteffekte der Corona-Maßnahmen hinterfragen möchte. Viele haben wirklich schon genug mit sich zu tun, das ist Fakt. Schon in Nicht-Krisenzeiten haben diese Leute und ich nicht unbedingt die Revolution bei Kaffee und Kuchen geplant. Und hatten dennoch eine gute Zeit, ab und an. An all jene möchte ich auch eine Entschuldigung richten, denn, ja, für mich, als Sexarbeiterin, Selbständige, Frau wirkt sich diese Krise anders aus als für Euch. Sie triggert manches aus meiner Vergangenheit und macht mich wütender, ungeduldiger und verletzlicher. Corona wirkt sich nicht nur auf mich sozial und materiell massiv aus. Aber ihr, die ihr nicht so scharf von dieser Krise betroffen seid, tragt nicht persönlich Schuld daran, dass es Menschen wie mir, gerade tendenziell erheblich schlechter geht als sonst.
Eine Bitte habe ich trotzdem an Euch: Nutzt doch bitte Eure Privilegien dafür, Menschen in Eurem Umfeld, die wie ich stark betroffen sind, sichtbar zu machen und ihnen solidarisch Eure Hilfe anzubieten. Gebt den unmenschlichen Maßnahmen Euer menschliches Gesicht. Distanziert Euch physisch, nicht sozial von Euren Freund*innen, die in der Krise eventuell nicht die Geduld oder den Humor aufbringen, den ihr von ihnen in normaleren Zeiten gewöhnt wart.

An meine Kund*innen: Ich vermisse Euch sehr. Dabei ist mir vollkommen klar, dass nicht für jede und jeden, die genannten Möglichkeiten wie Telefon-, Mailerziehung oder Chat, Hypnoseaudios oder personalisierte Erotikaudios eine Alternative zu unserem gewohnten Sessioning darstellen. Ich freue mich trotzdem, wenn ihr Euch mal meldet.

Jenen, die meine angebotenen Alternativen rundheraus ablehnen möchte ich bitten, derzeit nicht auf Kontakt zu drängen, oder mich emotional in die Pflicht zu nehmen. Im konsensuellen Rahmen einer Session, oder Vor- und Nachbereitung einer realen Begegnung mache ich manchmal aus Freundlichkeit sowas wie Fernerziehung mit Euch ohne dafür extra Geld zu verlangen. Nennt es Kund*innenpflege. Jetzt ist das aber nicht drin. Ich kann mir solche „Geschenke“ nicht leisten, weder emotional noch materiell und es macht mich sehr betroffen und traurig, dass es Menschen gibt, die dies nicht verstehen. Bitte überlegt Euch, ob gerade ich diejenige bin, an der Ihr Euch mit Eurem Anspruchdenken abarbeiten wollt?

Ich freue mich über Aufmerksamkeiten in dieser schlimmen Zeit. Auf meiner Amazonliste kannst Du etwas Kleines oder Großes auswählen!
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Ich bettele hier nicht um gute Gaben, sondern schaffe einen Rahmen, in dem Ihr Eure Wertschätzung für mich zeigen könnt.

Wer sich fragt, wie es weiter mit Mademoiselle Ruby geht: Ich habe nicht vor klein bei zu geben. Für meine wunderbaren Kund*innen habe ich hart gearbeitet und wir haben unglaublich schöne Zeiten miteinander erlebt. Das trägt mich ein Stückweit auch durch die schaurige Gegenwart und gibt mir Kraft, Widerstand zu leisten, nicht aufzugeben.

Wer sich fragt, wie ich gerade überlebe? Es ist mir nicht peinlich Euch zu sagen, dass ich derzeit für Mindestlohn im Einzelhandel Regale auffülle. Vielleicht helfe ich auch ein bisschen bei der Ernte oder es ergibt sich irgendwas, das ansatzweise besser meine Fähigkeiten zur Geltung bringt. Ich investiere Zeit in Hydra e.V., wo ich Mit-Vorständin bin. Ich lerne Käsekuchenbacken und pflanze einen Apfelbaum in meinem kleinen Garten. Ich verbringe Zeit mit meinem Pferd (Vorsicht, all jenen die mich jetzt als Luxusbitch abstempeln, dies ist der einzige „Luxus“, den ich mir seit Jahren erlaube, und durch die therapeutische Arbeit gebe ich durchaus auch was an Menschen zurück) und bin sehr dankbar für alles, was meinen Tagesablauf strukturiert.Hört ihr?! An all die hämischen und dämlichen Swerfs da draußen, dies ist eine Übergangslösung. Als dieser Beitrag online ging kommentierten sie Mist ala: „Endlich ein anständiger Job“ drunter. Ausbeutung zu Mindestlohn, buckeln fürs Überleben. Ich mache es… aber nur so lange ich muss. Mein Wort darauf, dass Ihr Euch dieser oberflächlich heilen Welt ohne Sexarbeit, die aber nur umso mehr kaputt ist, wenn man mal genauer hinschaut, nicht lange werdet erfreuen dürfen.

Vielleicht höre ich den einen oder die andere in den kommenden Tagen mal?
Bis bald!

Eure Ruby