Corona verändert meine Welt – Flaschenpost aus der Isolation

Ich habe mich seit dem Beginn der Corona-Krise nicht zu Wort gemeldet, eigentlich hatte ich vor über die fantastische Veranstaltung gemeinsam mit IBUS in Innsbruck zu berichten, aber dazu kam es dann nicht mehr. Tirol ist jetzt Risikogebiet und damit hat es sich. Hast Du Dich isoliert? lautet die Frage, Neugier auf die Inhalte, die wir da bewegt haben kann sich derzeit kaum jemand leisten.

Es frustriert mich über alle Maßen, wie die gesamte politische Arbeit, kulturelle Beiträge auf einmal obsolet und unwichtig werden, denn alles steht im Schatten der Krise.

Ein Effekt der weltweiten Pandemie ist, dass sich unser Denken und Handeln zunächst nur noch um die Verbreitung des Virus und dann immer mehr um Persönliches dreht, weil unsere Reichweite sich ausschließlich auf den privaten Raum erstreckt. Sie verkleinert das Denken und Handeln. Der tägliche Einkauf ist die größte Herausforderung, dicht gefolgt von der Planung des täglichen Spaziergangs, Telefonate mit Freunden und Familie und immer wieder der bange Blick aufs Konto gepaart mit der Erkenntnis, dass das Leben, was ich mir mühsam aufgebaut habe derzeit der Vergangenheit angehört.

Ich chatte jetzt mit meinen Gästen, spreche ihnen Audios oder schreibe Mails. Das ist noch der schönste Aspekt von Corona, dass wir uns andere Disziplinen erschließen, solche, die auch irgendwie inklusiv sind, denn nicht jede*r bringt:
1. Mein Honorar für eine Session auf,
2. Besitzt den Mut zu einem persönlichen Treffen,
3. Befindet sich in Anfahrtsnähe zu meinen regulären Arbeitsorten Berlin, Hannover und München.
Nein, es ersetzt mir den persönlichen Kontakt zu meinen Kund*innen nicht, aber ja, es ist schön zu sehen, wie kreativ ich werden kann und: Schreiben und Sprechen liegt mir.

Ihr fragt mich oft, wieso keine Onlinemeetings mit Bild und Ton mit mir möglich sind. Das hat mehrere Gründe. Ich stelle fest, dass meine Internetbandbreite in der brandenburgischen Pampa dafür nicht wirklich reicht. Schon in Zoom-Calls oder Skype-Meetings wackelt und zackelt es, und oft bin ich kaum zu verstehen. Das kann nicht sexy sein, wenn es um erotischen Content geht. Außerdem empfinde ich eine gewisse Sperre, aus meinem persönlichen Zuhause heraus die Welt aufzugeilen. Auf keinen Fall soll das die Mühe und Arbeit meiner zahlreichen Kolleg*innen schmälern, die derzeit so arbeiten wollen und müssen, aber für mich ist das irgendwie nichts. Und, zu guter Letzt habe ich wohl auch Angst davor, dass es mir meine Einsamkeit noch deutlicher vor Augen führen könnte.

Zusammengerechnet mit der häuslichen Isolation nach Tirol, die ich aus Respekt vor meinen Gästen eingehalten habe, nicht weil ich symptomatisch gewesen wäre, sind es bereits 4 Wochen, die ich mich nun physisch fern halte. Ich spreche bewusst nicht von sozialer Distanzierung, denn ich habe beinahe einen Hass auf diesen Begriff entwickelt. Es geht um Abstand und nicht um Abschottung, oder?
Schmerzhaft ist zu sehen, dass sich mein Bekanntenkreis in zwei Lager spaltet, jene, die die Maßnahmen möglichst buchstabengetreu einhalten und keine Gelegenheit verstreichen lassen, ihr Umfeld mit Instruktionen zum „richtigen“ Händewaschen und Abstandsbildchen in den sozialen Medien zu bombardieren. Die es sich nun mit einem guten Buch auf der Wohnlandschaft oder im Garten gemütlich machen und aus dem sicheren Netz der Festanstellung heraus abwarten. Sie verwenden Formulierungen, wie „vorauseilenden Gehorsam“. Eine hinterfragender Blick auf die derzeit aktiven Maßnahmen, deren wirtschaftliche, psychologische und persönliche Konsequenzen wir bisher nur erahnen können, ist für sie Grund genug, Dich als Täter*in zu shamen. Es ist so traurig, dass der gesellschaftliche Druck sich immer auf die Schwachen umleitet und sich Menschen in Krisenzeiten nicht gern eingestehen, dass auch ihr „superkorrekten“ Verhalten den Druck umverteilt. Perfekt sein ist in diesen Zeiten auch ein Schlag in das Gesicht all jener, die sich Perfektion schlicht nicht leisten können.
Das andere Lager ist sich bewusst über die Herausforderungen und solidarisiert sich vorsichtig. Wir erarbeiten Strategien von Austausch und den ein oder anderen Spaß selbst in diesen tristen Zeiten. Psychische und soziale Gesundheit ist für diese Menschen kein Fremdwort und sie können Phrasen von ehrlichen Aussagen unterscheiden. Es tut gut, solche Personen in seinem Umkreis zu wissen.
Und doch gehören beide Personengruppen zu meinem Freundeskreis. Es ist für mich sehr schwer zu akzeptieren, dass Anpassung auch eine Strategie darstellt und nicht jede*r die Absichten oder verborgene Begleiteffekte der Corona-Maßnahmen hinterfragen möchte. Viele haben wirklich schon genug mit sich zu tun, das ist Fakt. Schon in Nicht-Krisenzeiten haben diese Leute und ich nicht unbedingt die Revolution bei Kaffee und Kuchen geplant. Und hatten dennoch eine gute Zeit, ab und an. An all jene möchte ich auch eine Entschuldigung richten, denn, ja, für mich, als Sexarbeiterin, Selbständige, Frau wirkt sich diese Krise anders aus als für Euch. Sie triggert manches aus meiner Vergangenheit und macht mich wütender, ungeduldiger und verletzlicher. Corona wirkt sich nicht nur auf mich sozial und materiell massiv aus. Aber ihr, die ihr nicht so scharf von dieser Krise betroffen seid, tragt nicht persönlich Schuld daran, dass es Menschen wie mir, gerade tendenziell erheblich schlechter geht als sonst.
Eine Bitte habe ich trotzdem an Euch: Nutzt doch bitte Eure Privilegien dafür, Menschen in Eurem Umfeld, die wie ich stark betroffen sind, sichtbar zu machen und ihnen solidarisch Eure Hilfe anzubieten. Gebt den unmenschlichen Maßnahmen Euer menschliches Gesicht. Distanziert Euch physisch, nicht sozial von Euren Freund*innen, die in der Krise eventuell nicht die Geduld oder den Humor aufbringen, den ihr von ihnen in normaleren Zeiten gewöhnt wart.

An meine Kund*innen: Ich vermisse Euch sehr. Dabei ist mir vollkommen klar, dass nicht für jede und jeden, die genannten Möglichkeiten wie Telefon-, Mailerziehung oder Chat, Hypnoseaudios oder personalisierte Erotikaudios eine Alternative zu unserem gewohnten Sessioning darstellen. Ich freue mich trotzdem, wenn ihr Euch mal meldet.

Jenen, die meine angebotenen Alternativen rundheraus ablehnen möchte ich bitten, derzeit nicht auf Kontakt zu drängen, oder mich emotional in die Pflicht zu nehmen. Im konsensuellen Rahmen einer Session, oder Vor- und Nachbereitung einer realen Begegnung mache ich manchmal aus Freundlichkeit sowas wie Fernerziehung mit Euch ohne dafür extra Geld zu verlangen. Nennt es Kund*innenpflege. Jetzt ist das aber nicht drin. Ich kann mir solche „Geschenke“ nicht leisten, weder emotional noch materiell und es macht mich sehr betroffen und traurig, dass es Menschen gibt, die dies nicht verstehen. Bitte überlegt Euch, ob gerade ich diejenige bin, an der Ihr Euch mit Eurem Anspruchdenken abarbeiten wollt?

Ich freue mich über Aufmerksamkeiten in dieser schlimmen Zeit. Auf meiner Amazonliste kannst Du etwas Kleines oder Großes auswählen!
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Ich bettele hier nicht um gute Gaben, sondern schaffe einen Rahmen, in dem Ihr Eure Wertschätzung für mich zeigen könnt.

Wer sich fragt, wie es weiter mit Mademoiselle Ruby geht: Ich habe nicht vor klein bei zu geben. Für meine wunderbaren Kund*innen habe ich hart gearbeitet und wir haben unglaublich schöne Zeiten miteinander erlebt. Das trägt mich ein Stückweit auch durch die schaurige Gegenwart und gibt mir Kraft, Widerstand zu leisten, nicht aufzugeben.

Wer sich fragt, wie ich gerade überlebe? Es ist mir nicht peinlich Euch zu sagen, dass ich derzeit für Mindestlohn im Einzelhandel Regale auffülle. Vielleicht helfe ich auch ein bisschen bei der Ernte oder es ergibt sich irgendwas, das ansatzweise besser meine Fähigkeiten zur Geltung bringt. Ich investiere Zeit in Hydra e.V., wo ich Mit-Vorständin bin. Ich lerne Käsekuchenbacken und pflanze einen Apfelbaum in meinem kleinen Garten. Ich verbringe Zeit mit meinem Pferd (Vorsicht, all jenen die mich jetzt als Luxusbitch abstempeln, dies ist der einzige „Luxus“, den ich mir seit Jahren erlaube, und durch die therapeutische Arbeit gebe ich durchaus auch was an Menschen zurück) und bin sehr dankbar für alles, was meinen Tagesablauf strukturiert.Hört ihr?! An all die hämischen und dämlichen Swerfs da draußen, dies ist eine Übergangslösung. Als dieser Beitrag online ging kommentierten sie Mist ala: „Endlich ein anständiger Job“ drunter. Ausbeutung zu Mindestlohn, buckeln fürs Überleben. Ich mache es… aber nur so lange ich muss. Mein Wort darauf, dass Ihr Euch dieser oberflächlich heilen Welt ohne Sexarbeit, die aber nur umso mehr kaputt ist, wenn man mal genauer hinschaut, nicht lange werdet erfreuen dürfen.

Vielleicht höre ich den einen oder die andere in den kommenden Tagen mal?
Bis bald!

Eure Ruby

 

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