Es sind auch meine Rundfunkbeiträge!

Es sind auch meine Rundfunkbeiträge!

Sexarbeitende müssen gehört werden.
Neben den politischen Forderungen ist auch das durch „die Medien“ vermittelte Bild veränderungswürdig. Täglich reproduzieren Journalist*innen und Medienschaffende teils ungewollt, teils reißerisch Stigma und Klischees über Sexarbeit. Und lösen damit unter Sexworker*innen Kritik aus.
Das Verheerende: Die Verantwortlichen bei den Sendern und in den Redaktionen nehmen sich die Kritik und Richtigstellungen nicht an. Standardantworten sind leider das höchste der Gefühle. Auf diese Weise wird Marginalisierung zementiert.
Dabei geht es weder um den einzelnen Radiobeitrag, noch diesen Dokumentarfilm oder jene Reportage, sondern um ein Umdenken, das überfällig ist und um das sich nicht herum gemogelt werden kann.
Heute veröffentliche ich beispielhaft einen Brief, der ein Platzhalter ist für viele Tweets und Beschwerden.

Von: Mademoiselle Ruby <ruby@mademoiselleruby.com>
Gesendet: Montag, 22. März 2021 12:54
An: Nach Redaktionsschluss <NachRedaktionsschluss@deutschlandfunk.de>
Betreff: Sexarbeit & Sexarbeitende in den Medien

 

Sehr geehrtes Team von Nach Redaktionsschluss,

Mir gefällt das Format Nach Redaktionsschluss sehr gut und ich habe schon manchmal spannende Anregungen aus den Podcasts mitgenommen.

Als Feministin setze ich mich für die Rechte marginalisierter Gruppen ein, da ich selbst Sexarbeiterin bin, beschäftigt mich die mediale Repräsentation der Sexarbeitenden besonders. Oft erhalte ich im Rahmen meines politischen Aktivismus Presseanfragen, und gerade im Pandemiejahr 2020 habe ich unglaublich viel Zeit für die Sensibilisierung von Medienschaffenden aufgebracht, um die immer wiederkehrenden Stereotype / Framings und Zuschreibungen zu hinterfragen, und wo es geht, auch aufzubrechen.

Und genau darüber würde ich gern mit Ihnen diskutieren:
Vor wenigen Wochen wurde bei 3Sat eine sogenannte Reportage unter dem Titel “ Prostitution – Kein Job wie jeder andere“ ausgestrahlt. In diesem Format wurde gar nicht erst der Versuch unternommen, das Thema Sexarbeit differenziert zu betrachten. Von vorneherein war klar, dass die gängige Dichotomisierung zur Primetime zementiert werden würde. Gemeint ist das:
Die Mehrzahl aller Menschen in der Prostitution seien Opfer von kriminellen Zwang und lediglich eine verschwindend kleine Anzahl würde diesem Job selbstbestimmt und frei nachgehen. Am Beispiel dieser Sendung lässt sich exemplarisch nachvollziehen, worunter in meinen Augen die überwiegende Berichterstattung zum Thema Sexarbeit in Deutschland leidet: Medienschaffende isolieren die Sexarbeit aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext und hinterfragen dann moralisch, ob es sie überhaupt geben dürfe. Über die moralische Grundsatzdebatte werden dann so wichtige Hintergründe und Differenzierungen „vergessen“ oder unterlassen, wie Gender, Rassifizierung, Klassismus und Herkunft.

Außerdem nehme ich zur Kenntnis, dass in den Medien immer wieder nicht verifizierte und oft aus tendenziösen Absichten in Umlauf gebrachte Zahlen aufgegriffen werden. „Die Medien“ leisten durch die Verwendung jener Zahlen einen nicht unerheblichen Beitrag zur zunehmend unsachlich geführten Debatte um Sexarbeit in der Gesellschaft. Ebenso schier unerträglich ist dieser Umstand:
In den seltenen Fällen, in denen sich Sexarbeitende und ihre Verbündete gegen solche unzulässigen Verallgemeinerungen und eine ideologisch prädisponierte Sicht auf Prostitution wehren und zum Beispiel Einspruch gegen Formate wie dieses (z.B: bei den Redaktionen oder beim Fernsehrat) einlegen, erhalten sie  Antwortschreiben, die wiederum Vorurteile, Verkürzungen und Wertungen reproduzieren. Zitate werden aus dem Zusammenhang gerissen, Sexarbeitenden wird mangelnde Sachkenntnis über die Lebensrealitäten von Sexarbeitenden (sic!) unterstellt. Studien, die der wissenschaftlicher Betrachtung nach längst als überholt und obsolet betrachtet werden, werden von Medienschaffenden benützt um die Argumente „Betroffener“ zu entkräften und Sexarbeitende werden geandert, also als Ausnahmen, mundtot gemacht.

Jenseits des Vorwurfs der Voreingenommenheit und mangelnder, aktueller Recherche werfe ich vielen Medienschaffenden vor, nicht zugänglich für eine wichtige Realität zu sein: Die Dichotomisierung in viele Opfer und wenige Selbstbestimmte verschleiert die Komplexität in der weder Opfer noch Selbstbestimmte, glückliche Sexarbeiter*innen Regel sind. Sie macht die Ursachen für den Einstieg in die Sexarbeit in Deutschland unsichtbar, die oft Armut, Ausbeutung und mangelnde Zugänge zu sozialen Sicherungssystemen sind. Sie lässt die Zusammenhänge mit Arbeitsmigration, Hautfarbe, Gender und Diskriminierung außer Acht. Mittels der Dichotomisierung wird also die grundlegende Einordnung von Sexarbeit in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang versäumt. Zusätzlich landet sie durch false Balance und Nichtbeachtung der Aussagen von Sexarbeiter*innen ins moralische Abseits Das beginnt bei den Selbstbezeichnung und endet nicht bei der Auswahl der Protagonist*innen. Im moralischen Abseits landet die Debatte um Sexarbeit ohnehin leicht, denn viele Menschen tabuisieren Sexualität, sexuelle Selbstbestimmung und weibliche Lust als „Schmuddelkram“. Diese Scham und das ererbte Hurenstigma treffen dann auf  Kriminalisierung von migrantisierten Menschen, Substanzgebrauch und Wohnungslosigkeit und heraus kommt ein toxischer Cocktail, der in der Abschaffung der Prostution die Lösung für Komplexe gesellschaftliche Probleme postuliert.
Am 20.3. strahlte der Deutschlandfunk den Beitrag: Hintergrund. Prostitution in Coronazeiten aus. Die Autorin Anja Nehls bemühte sich um Ausgewogenheit. Dennoch wurden auch in diesem Format Rassismus, Dichotomisierungen sowie nicht belastbare Zahlen reproduziert und es wurde versäumt migrantisierte Sexarbeiter*innen zu Wort kommen zu lassen. Somit verfestigt auch dieser Beitrag die gängige Schwarz-Weiß-Malerei der Sexarbeit in den Medien.

Wie könnte sensible Berichterstattung über Sexarbeit und Sexarbeitende gelingen? Welche Fallstricke gilt es im Sinne von wirklich ausgewogener Berichterstattung zu vermeiden und welche Geschichten werden grundsätzlich nicht erzählt? Dies sind nur einige Fragen, die ich ausgesprochen gern mit Ihnen erörtern würde.

Viele Grüße,
Ruby Rebelde

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